Verhalten paßt nicht zum Programm

■ Gastkolummne von Armin Stolle zu dem Widerspruch von praktischer SPD-Politik und den hehren Zielen

Wenn man in diesen Tagen kritischen Zeitgenossen begegnet, bekommt man als SPD-GenossIn ein mitleidiges Lächeln zugeworfen. Wo bleibt „Deine Partei“, ist daraus zu entnehmen. In Sachen Golfkrieg hält sie sich nicht nur reichlich bedeckt, sondern duldet mit wenigen Ausnahmen (z.B. Heidemarie Wieczorek-Zeul) auch noch die kriegsverbrecherischen Unterstützungsmaßnahmen für die Golfregion.

Die Zerstrittenheit über die richtige Beurteilung dieses Komplexes ist in der Bremer SPD gerade noch innerhalb der Spitzengremien zu spüren. Die Geschlossenheit aber verlangt nun man eben, daß davon möglichst nichts nach außen dringen darf. Leider wird man auch in „meiner“ Partei sehr schnell zum Nestbeschmutzer, wenn man sich nicht an die Spielregeln hält.

Die Widersprüche zwischen programmatischen Grundsätzen und dem darauf bezogenen Handeln schreien zum Himmel. Das Berliner Grundsatzprogramm vom Dezember 1989 ist mit hehren Ansprüchen angefüllt, es strotzt davon: „Die Menschheit kann nur noch gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen ... Friedenspolitik muß ... dem Vormachtstreben der Weltmächte entgegenwirken und Gegensätze zwischen Systemen, Ideologien und Religionen in friedlichem Wettbewerb und in einer Kultur des politischen Streits austragen ... Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern.“

Wenn aus dem Landesvorstand verlautet, daß man sich über den Diktator und Aggressor Saddam Hussein einig ist, so gilt das nicht in dieser Eindeutigkeit für den Vökermord am irakischen Volk durch den Abwurf von tausenden von Tonnen Bomben schlimmsten Kalibers auf das Land und damit auf die Zivilbevölkerung. Und wenn mit Recht die Raketenanschläge auf Israel verurteilt werden, dann wird nicht auf die Aggressionspolitik Israels und die uneingelösten Resolutionen der UNO hingewiesen, die über Israel verhängt worden sind.

Habe ich denn als Sozialdemokrat die Geschichte des Dritten Reiches, die Verbrechen an den Juden umsonst aufgearbeitet, nur um die Kriegsverbrecher in der Region und damit auch an den Palästinensern jetzt zu rechtfertigen?

Nein! Hier stimme ich — gerade in Bremen — einer einseitigen Beurteilung der Auseinandersetzung in der Golfregion nicht zu. Ich kann nicht mit Rücksicht auf die deutsch-israelische Gesellschaft der Massenvernichtung am Golf tatenlos zusehen. Das kann auch nicht im Sinne der auf Versöhnung ausgerichteten Politik dieser Gesellschaft sein.

Das Verhalten der SPD paßt nicht zu ihrem Grundsatzprogramm. Das gilt auch für die Zurückhaltung, die vor allem Senatsmitglieder in Sachen Rüstungsproduktion in der „Rüstungsschmiede“ Bremen an den Tag legen. Da werden nicht nur weitere Rüstungsaufträge nach Bremen geholt, sondern der Rüstungsexport und die Waffenlieferungen und Transporte über bremische Häfen gehen unvermindert weiter. Und wenn dann einmal Tomaten auf einen führenden Politiker unseres Landes geworfen werden, dann ist die Beschreibung und Beurteilung der Friedensbewegung in terroristische Nähe gerückt, als ob Sprengsätze geworfen worden seien. Der Zorn und die Wut über das Verschweigen, das Nichtstun angesichts der Vorgänge in der Golfregion läßt auch mich in Gedanken zu Tomaten greifen, auch wenn ich sie nicht als Mittel der Auseinandersetzung benutzen werde.

Ich erwarte gemäß Grundsatzprogramm von meiner Partei, daß sie sich entschieden gegen alle Waffenlieferungen wenden, die zur weiteren Aufrüstung der Region am Golf führen muß und schon neue Konflikte für die Zukunft vorbereiten. Ich erwarte auch, daß sie sich entschieden gegen den Einsatz der Bundeswehr wendet und für die Kriegsdiestverweigerung eintritt. Ich erwarte weiterhin, daß sie eintritt für ein internationales oder nationales Tribunal, vor das Unternehmen und Politiker gefordert werden, die für die Produktion und Export von Chemie-und anderen Waffen verantwortlich sind.

Die Friedenskommission des SPD-Unterbezirks Ost hat in den vergangenen Jahren mehrfach und rechtzeitig auf solche Verstrickungen hingewiesen und klare Aussagen von der eigenen Partei erwartet. Wenn wir die moralische Komponente aus der Politik entfernen, werden wir das Geschäft mit dem Tod unverändert blühen sehen. Daher erwarte ich, daß die oben genannten Widersprüche zwischen programmatischen Forderungen und politischen Verhalten offen ausgetragen werden und alle Maßnahmen in Bremen ergriffen werden, die mit dazu beitragen können, den Krieg zum Stillstand zu bringen. Die Bewegung für den Frieden muß das Handeln der Politik bestimmen — nicht umgekehrt. Armin Stolle