»Ein orgiastisches Fahrgefühl«

■ Schneebrettfahren, genannt »Snowboarding«, liegt voll im Trend/ Statt zwei Brettern gibt's nur noch eins — und darauf muß man das Gleichgewicht halten/Mit »feeling« durch die »half-pipe«

Teufelsberg. Kein Pflugbogen, kein Stemmschwung, kein Parallelschwung mehr. Mit beiden Beinen seitwärts auf das Brett und dann nicht auf die nächste Welle warten, sondern auf den unberührten Tiefschneehang. Skistöcke ade, denn das Gleichgewicht zu halten, besorgt der Körper ohne jede Hilfsmittel. Snowboard heißt das Zauberwort — zu deutsch Schneebrett. Aber das klingt nun allzu profan. Snowboardfahren feiert diesen Winter den Durchbruch in der Domäne des Wintersports. Um dem Laien das Feeling zu beschreiben, ist einem richtigen Snowboarder kein Vergleich zu gering: »Ein orgiastisches Fahrgefühl«, sagt Johannes, gelernter Skilehrer, der vor zwei Jahren umgestiegen ist.

Denn Skifahren ist im Moment sozusagen »mega-out«. Wer etwas auf sich hält, läßt seine Ski im Keller stehen und schnappt sich sein Snowboard. »Wer es einmal gemacht hat«, schwört Johannes, »kommt nicht mehr davon los.« Der Bewegungsablauf, sagen die Snowboard-Jünger, sei natürlicher als beim Skifahren, wo Oberkörper und Unterkörper gegenläufig eingesetzt werden. Das steigert nach Meinung von Snowboardern die Verletzungsgefahr bei Abfahrts- und Slalomfans. Auf einem Brett — wenn man's kann — sei es gesünder als auf zweien. »Es geht viel schneller, macht einfach mehr Spaß und man kann sich etwas von der Masse abheben«, resümiert kurz und knapp Johannes, der im übrigen Profi ist, jedes längere Wochenende zur Fahrt in die Alpen nutzt — und den Teufelsberg keines Blickes würdigt. »Der ist einfach zu lächerlich.« Es sei denn, man könnte eine Half- Pipe bauen — aber dazu später mehr. Für Amateurfahrten ist der Schutthügel und gleichzeitig einer der höchsten Erhebungen in der Stadt absolut ausreichend.

Ein Snowboard — für Ignoranten sei es nochmals erklärt — ist die größere Version des Skateboards, es ist zwischen ein Meter fünfzig und zwei Meter lang, das Material gleicht dem des Ski. In den Anfangszeiten des Snowboards vor ungefähr drei Jahren waren es vor allem professionelle Skifahrer, die etwas neues, reizvolleres erleben wollten. Mittlerweile gibt es internationale Rennen und World-Cups. Und unter Amateuren ist der Sport zur weit verbreiteten Freizeitbeschäftigung geworden. Als Umsteiger von Ski und Skateboard oder als Quereinsteiger kann man Snowboardfahren innerhalb weniger Tage erlernen. Wichtig ist vor allem, daß man ein »feeling« für den »snow« entwickelt. Dann braucht's nur noch etwas Sportlichkeit und Körperbeherrschung.

Die notwendige Ausrüstung ist ziemlich teuer. Ab 300 Mark bekommt man zwar ein neues Brett, für ein gutes zahlt man allerdings 600 Mark, wobei die Bindungen nicht im Preis enthalten sind. Die Schuhe kosten ungefähr 400 Mark, jedoch reichen feste Bergsteigerschuhe auch aus. Ein gebrauchtes Brett bekommt man für 150 Mark.

Der Sport ist inzwischen etabliert. Liftbetreiber nehmen die Boarder mit und stellen ihnen einen eigenen Service zur Verfügung. Seit zwei Jahren gibt es auch den Berliner Snowboardverein. Nachdem die Snowboarder ihre Differenzen mit den Skifahrern ausgeräumt haben, und auf den Pisten kein Konkurrenzkampf mehr stattfindet, durfte der Verein auch unter das Dach des Berliner Skiverbandes treten.

Heute will Johannes vielleicht doch über den Teufelsberg surfen. Vorausgesetzt, der Schnee reicht für die Konstruktion einer »half-pipe«. Für die Halbröhren, die von den Skateboardfahrern übernommen wurden, werden Unmassen von Schnee in Form einer nach oben offenen Röhre aufgeschüttet. Die Dimensionen sind beachtlich: Ungefähr fünfzig Meter lang, zehn Meter breit und zwei Meter hoch.

Bleibt im Sinne der friedlichen Koexistenz zwischen Snowboardern und Skifahrern zu hoffen, daß sich heute kein Slalomfahrer in die Röhre verirrt. Ab 13 Uhr 30 finden am Teufelsberg die Berliner Alpinen Skimeisterschaften statt. Thekla Dannenberg