: Notausgang
■ Die Initiative des irakischen Revolutionsrats muß beim Wort genommen werden KOMMENTARE
Die Erklärung des irakischen revolutionären Kommandorates, die UNO-Sicherheitsresolution 660 als Basis zu akzeptieren, um nach einer „ehrenhaften politischen Lösung zu suchen“, ist der Versuch, in letzter Minute eine wohlkalkulierte Rettungsaktion zu starten — steht doch die Eröffnung des Landkriegs unmittelbar bevor. Die UNO-Resolution statuiert unzweideutig den bedingungslosen Rückzug der irakischen Truppen aus Kuwait. Indem der Revolutionsrat fordert, daß dieser Rückzug mit dem Abzug der alliierten Streitkräfte vom Golf, dem Rückzug der Israelis aus den besetzten Gebieten und der Syrer aus dem Libanon verknüpft sein sollte, macht er eine „linkage“ nicht zur Voraussetzung, er postuliert sie nur, spricht nur von politischen Notwendigkeiten aus seiner Sicht. Das gleiche gilt für die zahlreichen Kautelen, an die eine künftige Kuwait-Regelung geknüpft wird, und für die weitgespannten Forderungen bis hin zum Schuldenerlaß und einer neuen Weltwirtschaftsordnung.
Die irakische Führung hat durch ihren Schritt unter Beweis gestellt, daß sie zu einer realistischen Einschätzung der Kräfteverhältnisse, mithin zu einem vernunftgeleiteten Kalkül in der Lage ist. Die zynische Rede vom Krieg als Lernprozeß hat sich — aber um welchen Preis! — bewahrheitet. Jeder Vergleich des Baath-Regimes mit den Nazis findet hier sein praktisches Dementi — die Irakis wollen offenbar nicht marschieren, bis alles in Trümmer fällt.
Wohlkalkuliert ist die Erklärung des Revolutionsrates auch deshalb, weil sie mit ihrem Verweis auf die August-Resolution an den Wortlaut und „Geist“ der UNO-Sicherheitsratsbeschlüsse appelliert. Es ging dort um nicht mehr und nicht weniger, als daß die Souveränität Kuwaits wiederhergestellt wird und alle Streitfragen zwischen Irak und Kuwait auf dem Verhandlungsweg gelöst werden. Weder die Resolution 660 noch die ihr folgenden legitimieren ein erweitertes Kriegsziel — sei es die dauerhafte Schwächung der irakischen Kriegsmacht oder gar den Sturz des Regimes. Die logische Konsequenz aus dem irakischen Schritt wäre jetzt eine erneute Resolution des Sicherheitsrates, die eine Feuerpause beschließt, um dem Irak Gelegenheit zu geben, die Ernsthaftigkeit seiner Rückzugsabsicht unter Beweis zu stellen.
Präsident Bush hat eine solche Initiative ausgeschlossen. Seine Anhänger hierzulande sind der Meinung, auf den Sieg über Saddam zu verzichten hieße, eine Wiederholung des Übels heraufzubeschwören. Wer einer solchen Logik folgt, vergißt, daß die Niederwerfung des Iraks keine Garantie für die Sicherheit der Region und speziell für Israel bringen würde. Ganz abgesehen davon, daß es dann unmöglich würde, an die Stelle der „Pax Americana“ eine von der UNO garantierte Friedenslösung zu setzen. Die europäischen Staaten wie die Sowjetunion sind jetzt aufgefordert, sich den USA zu widersetzen und an Initiativen wie den Mitterrand-Plan anzuknüpfen. Es geht darum, daß gleichlaufend mit einem Rückzug des Iraks die Koalitionsstreitmacht verringert und nach Abschluß des Rückzugs gänzlich abgezogen wird. Die anschließende Stationierung einer „authentischen“ UNO-Truppe mit überwiegend arabischer Beteiligung wäre dann zwischen dem Irak und Kuwait auszuhandeln.
Es wird jetzt nicht an fatalistischen Stimmen fehlen, die die auch militärische Hegemonie der USA in der Region für unvermeidbar halten. Wer so denkt und vor allem handelt, muß auch den Preis für eine solche Haltung entrichten: den tödlichen Antagonismus zwischen Orient und Okzident. Jetzt die Irakis beim Wort zu nehmen, für einen ausgehandelten Truppenabzug und anschließend für eine globale Friedensregelung, das heißt aber auch eine Nahost-Konferenz unter Beteiligung aller Konfliktpartner, einzutreten, wäre keine Konzession an Saddam. Es wäre einfach nur vernünftig. Christian Semler
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