Giftmülltourismus freundlich verpackt

■ Der neue Greenpeace-Bericht zur Müllage der Welt zeigt, wie die Exporteure Verbote umgehen

Berlin (taz) — Wer seine Hoffnungen zur Eindämmung des internationalen Giftmülltourismus auf ebensolche Konferenzen stützt, muß enttäuscht sein. Denn nicht nur die Diplomatie in Sachen Mülltransfer befindet sich im Aufschwung, auch der Handel selbst floriert offenbar wie nie zuvor. Dabei verkaufen die Müllexporteure ihre Geschäfte immer häufiger als freundliche Mogelpackung: Wo Giftmüll drin ist, steht Recyclingware drauf. Und wo es in Wirklichkeit darum geht, den Wohlstandsmüll der Industrienationen gewinnbringend zu entsorgen, wird gar von Entwicklungshilfe gefaselt. Das ist das Fazit des mittlerweile fünften Berichts zum internationalen Müllhandel, den die Umweltaktivisten von Greenpeace jetzt in Brüssel der internationalen Presse vorstellten.

Auf 400 Seiten hat die Umweltorganisation akribisch die internationalen Müllströme nachgezeichnet. Seit 1986 wurden danach 163 Millionen Tonnen Müll exportiert, rund zehn Millionen sind als Giftmüll einzustufen. In den letzten Jahren explodierte vor allem der Mülltransfer in die osteuropäischen Länder und nach Lateinamerika. Insbesondere bei den gefährlichen Stoffen glauben die Greenpeace-Experten allerdings selbst nicht an ihre Statistik: „Auch wir turnen nur auf der Spitze eines Eisbergs herum und wissen längst nicht alles“, sagt Andreas Bernsdorff, der die Müllkampagne in Deutschland leitet.

Als „hoffnungsvolle Zeichen“ klassifizieren die Umweltschützer einen generellen Importstopp der OAU-Staaten und die sogenannte Lomé-Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und 69 Entwicklungsländern, in der Müllexport generell verboten wurde. Südafrika sei heute das einzige afrikanische Land, das noch systematisch Müll importiere. Weltweit haben inzwischen 82 Staaten die Einfuhr von Müll untersagt.

„Verlogen“ nennt Greenpeace die Position der EG-Staaten, die den Müllexport in die Partnerländer des Lomé-Abkommens verbieten, um gleichzeitig den Giftmüllfluß in Richtung Osten zu forcieren. Insgesamt landete der Wohlstandsmüll aus der EG in 77 Staaten der Erde. Spitzenreiter in der Gemeinschaft: Deutschland und Belgien. Die von der EG- Kommission im letzten Jahr erarbeiteten Vorschläge zu einer gemeinsamen Müllpolitik in der Gemeinschaft nennt Greenpeace „veraltet“ und „praktisch nicht umsetzbar“. Müll müsse grundsätzlich dort entsorgt werden, wo er entsteht. Die Richtlinie erlaube jedoch den Export in Nicht-EG-Länder und eröffne zudem mit der Unterscheidung von Müll zur Entsorgung und Müll zur Weiterverwertung beängstigende Schlupflöcher für jederart „Recyclingprojekte“ fern der Heimat.

Neben dem „Recycling“ geht der Mülltrend zur „energetischen Nutzung“. 63 Prozent aller Geschäfte mit Karibikstaaten und Polen kamen bei einer jüngsten Untersuchung als Recyclingware oder Stoff für die Müllverbrennung daher. Besonderes Bonbon: Die karibischen Inselstaaten sollen ihre chronischen Energieprobleme mit Müllverbrennungsanlagen made in Europe lösen — der Müll wird gleich mitgeliefert, inklusive Dioxin. Gerd Rosenkranz