Amerika — bleib hart!

■ Verwirrung in der Morgenstunde. Doch dann die erlösende Politiker-Parole: Saddam blufft nur

Chicago (taz) — Freitag morgen, 6.15 Uhr, auf dem Parkplatz des „Red Roof Inn“ im Sueden Chicagos. Ben Clemence und eine Handvoll Handelsreisender versuchen bei Minus 20 Grad verzweifelt, die Windschutzscheiben ihrer Fahrzeuge vom Eis zu befreien. Bei laufendem Motor treibt der Wind die Auspuffschwaden in spiralenförmigen Kreisen über den schneebedeckten Boden. Aus den Autolautsprechern der geöffneten Fahrertüren tönen die letzten Meldungen angebliche Rückzugsbereitschaft. „Ich glaub' das erst, wenn ich es sehe“, kommentiert Ben die Nachricht, der Irak sei bereit, die UNO- Resolution zu erfüllen. „Das ist doch bestimmt wieder ein fauler Trick Saddams“,traut er dem Frieden ebensowenig wie das Pentagon, das zur gleichen Zeit ähnlich skeptische Reaktion verbreiten läßt.

In „Denny's Restaurant“ an der Ecke zur 63. Strasse glaubt erst recht keiner an Saddams plötzlichen Sinneswandel. Die Gäste, die haben die „News“ aus Bagdad noch gar nicht mitbekommen. „Das darf doch nicht war sein“, so die Bedienung ungläubig, „der will sich wirklich zurückziehen, sagen Sie?“ „Klar“, meldet sich ein Neunmalkluger vom Nebentisch, „wir haben dem mit unseren Bombenangriffen jetzt so zugesetzt, daß der wenigstens einen Teil seiner Armee retten will. Der hat einfach Angst vor dem Bodenkrieg.“ Die restlichen Frühstückskunden sind noch viel zu überrascht, um solche analytischen Meisterleistungen zu vollbringen. „Gott sei Dank, wenn das nun wirklich vorbei ist“, so eine Dame an der Kasse, „das muß ja für die Menschen im Irak furchtbar gewesen sein.“

In den Fernsehstudios herrscht unterdessen Durcheinander. Die TV Networks schienen auf alles vorbereitet, auf eine Chemiewaffenattacke gegen Israel oder einen Harakiri Saddams. Nur mit einer Erfüllung der UNO-Resolution 660 hatte offenbar auch bei den Medienplanern niemand gerechnet. Vor allem die lokalen Moderatoren, die sonst um diese Zeit nationale und internationale Meldungen mit dem örtlichen Strassenzustandsbericht und einigen bunten Meldungen zu einer leicht verdaubaren Frühstückskost vermengen, sind angesichts der drohenden Kapitulation Saddams dankbar, wenn sie wieder einmal zum nächsten Werbesport unterbrechen dürfen. Wir melden uns gleich zurück.“

Wie immer in diesem Land sind es die Geschäftsleute, die als erste die Gunst der Stunde erkannt haben. „Dies wird ein großes Geschäft werden“, so spekuliert ein Investment-Banker schon über die Profite, die sich beim Wiederaufbau Kuweits machen lassen. Die Firmenamen „Bechtel“ und „Fluor“ werden auf dem Bildschirm eingeblendet, als diejenigen mit der besten wirtschaftlichen Ausgangsposition für die Rekonstruktion der „Kuweit GmbH“. Auch das Ingenieurskorps der US- Armee soll angeblich schon einen dicken Vertrag für die Reparatur zerstörter Militäranlagen in der Tasche haben. X Miliarden für neue Flugzeuge, y Milliarden für die Reparatur der zerstörten Ölinstallationen, dem Banker läuft schon sichtbar das Wasser im Mund zusammen. Das „geschäftsmäßige Interessante“ an Kuweit sei ja, „daß die das Geld haben, um ihr Land wieder aufzubauen.“

Nach einer Stunde haben die Fernsehanstalten zu ihrer gewohnten Selbstsicherheit zurückgefunden. Die abwartende, um nicht zu sagen feindliche Reaktion aus dem Weißen Haus und dem Pentagon wird als Richtlinie akzeptiert. In den gewohnten Netzschaltungen — die Korrespondentin in Tel Aviv, der Reporter vor Ryads blauen Türmchen — findet die Skepsis ihre globale Bestätigung. Am Ende sagen sie alle, was auch der Versicherungsvertreter vor dem „Red Roof Inn“ vermutet hatte. Nichts als ein weiteres Täuschungsmanöver aus der Trickkiste Saddam Husseins. „Amerika muß hart bleiben.“ Rolf Paasch