Perfekte Diagnostik — keine Garantie fürs Leben

■ Alternative Beratungsstelle zur vorgeburtlichen Diagnostik kritisiert Verunsicherung von Schwangeren

hier bitte die „Gene"

auf dem Foto

Gesunde Gene...Foto: Archiv

„Die nach Risiko fahndende Schwangerenvorsorge reduziert Schwangere auf ihre körperlichen Funktionen und biologischen Vorgänge“, betont die Journalistin Eva Schindele.

Schindele ist Mitbegründerin von „Cara“, einer alternativen Beratungsstelle zur vorgeburtlichen Diagnostik, die im Januar in Bremen ins Leben gerufen wurde. Schon eine ganz „normale“ Schwangerschaft mache viele Frauen heute unsicher: Kaum schwanger, würden sie mit dem Angebot der pränatalen Diagnostik konfrontiert.

Die Früherkennung — so verspricht ihnen die Wissenschaft — verringere das Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Doch abgesehen davon, daß die meisten Kinder immer noch gesund zur Welt kommen, kann auch eine noch so perfekte Diagnostik nicht Gesundheit fürs Leben garantieren.

Durch die fortschreitende Technisierung in der Medizin werden auch Schwangere zunehmend zum fremdbestimmten Objekt. „Die Mehrzahl der modernen Mediziner interessiert sich kaum für die fruchtbare Symbiose zwischen schwangerer Frau und dem Ungeborenen“, zitiert Eva Schindele aus ihrem Buch „Gläserne Gebär-Mutter. Vorgeburtliche Diagnostik — Fluch oder Segen“. Es zähle nicht die Schwangerschaft als persönlicher Weg, sondern „einzig und allein das Produkt, das die Frau nach neun Monaten ausliefert.“ So sind die „anderen Umstände“ heute von einem Großteil der Medizin zu einem risikoreichen, fast krankhaften Zustand umgedeutet worden, der nur mit ärztlicher Kontrolle durchzustehen ist. Zur Risikogruppe Nummer 1 gehören Frauen über 35 Jahre (zunehmend ab 30). Ihnen wird neben den üblichen Untersuchungen im Rahmen der Schwangerenvorsorge die sogenannte Pränataldiagnostik ans Herz gelegt.

Ziel dieser Diagnostik ist es, beim Fötus Normabweichungen festzustellen. Zu den Untersuchungen gehören neben Ultraschall und Blutuntersuchungen auch genetische Untersuchungen an embryonalen Zellen, die durch Chorionbiopsie, bzw. Fruchtwasserpunktion entnommen werden. Dadurch lassen sich Behinderungen, wie z.B. Trisomie 21 (Mongolismus) oder Fehlbildungen des Rückenmarks feststellen. Es sind jedoch nur rund 5 Prozent aller Abweichungen, die durch diese Techniken festgestellt werden können.

Die meisten Behinderungen entstehen im Verlauf der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Genetische Untersuchungen lassen außerdem keine Aussagen über den Schweregrad einer Behinderung zu. Die meisten Frauen unterziehen sich also umsonst den körperlichen und seelischen Strapazen der Untersuchungen. Die Untersuchungsmethoden sind auch nicht ohne Risiko: In manchen Fällen können sie Schwangerschaftskomplikationen oder Fehlgeburten auslösen.

Aufgrund des großen Drucks, keine gute Mutter zu sein, aber auch aus Angst davor, ein behindertes Kind in unsere perfekte Welt zu bringen, folgen dennoch viele schwangere Frauen den Verheißungen vorgeburtlicher Diagnostik — oft, ohne sich der Konsequenzen bewußt zu sein. Doch abgesehen von der geringen Erfolgsquote stellt sich die Frage: Was macht eine Frau, wenn sie weiß, daß ihr ungeborenes Kind nicht in „Ordnung“ ist? Die Pränataldiagnostik zielt nicht auf Therapie. In der Regel wird die fortgeschrittene Schwangerschaft (im 4. oder 5. Monat) bei positivem Befund mit einem medikamentös eingeleiteten Abbruch beendet. „Pränataldiagnostik macht uns vor, daß sich Behinderungen heutzutage ausbreiten wie eine Epidemie“, sagt Ingrid Blanken von „Cara“. „Sie schürt damit nicht nur Angst und Unsicherheit schwangerer Frauen, sondern auch die Stigmatisierung behinderter Menschen.“ Martina Burandt

Buch: Eva Schindele, Gläserne Gebär-Mütter. Vorgeburtliche Diagnostik — Fluch oder Segen; Fischer TB, Frankfurt/a.M. Okt. 1990