: Offen für Vergangenheit
■ Das Haus-Drama in der Clara-Zetkin-Straße 90
Unweit des Reichstags, in der Straße der Clara Zetkin, im Haus des vormaligen Ministeriums für Kultur ist das vielleicht spektakulärste aller FNL-Projekte eingezogen: das Drama. Das Drama selbst hat ein Haus besetzt. Die Drahtzieher dieses Dramas ist das »Autoren-Kollegium«, ein Theaterverlag, zu dem sich im Dezember '88 einige Theaterautoren zusammenschlossen, um einen genossenschaftlich organisierten Theaterverlag/Bühnenvertrieb zu gründen. Der Henschel- Verlag, der bis dahin das Monopol für Theatertexte hatte, zeigte sich nicht entsprechend aufgeschlossen für Autoren der jüngeren und mittleren Generation. Die Zulassung des Theaterverlags wurde vom damaligen stellvertretenden Minister für Kultur, Klaus Höpcke, am 3. November untersagt — wenige Tage später wurde die Zulassung erteilt. Am 1. August 1990 zog der Verlag als Mieter von vier Räumen in die Clara-Zetkin- Straße 90 ein. Da entstand die Idee, das ganze Haus zu übernehmen: Unter Beistand des damaligen Ministers für Kultur, Herbert Schirmer, und unter Mithilfe von Volker Hassemer konnte das Haus schließlich am 27.September 1990 beim Ministerium des Inneren angemietet werden.
Das Autoren-Kollegium hat einen im Prinzip unbefristeten Mietvertrag; die Gelder, die es durch Untervermietung des Hauses einnimmt, ist es gehalten für die Instandsetzung in das Haus zu reinvestieren; der einzige Unsicherheitsfaktor scheint die Nähe des Reichstages zu sein — man befürchtet, daß das Haus eines Tages für Regierungsgeschäfte beansprucht werden könnte.
Neben dem Autoren-Kollegium residieren im Haus nun die »Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße«, Buchvertriebe wie Weiß-Buchservice und Libri, die interdisziplinäre Arbeitsstelle »ästhetische Erfahrung und soziale Praxis« der Humboldt-Universität, die Malschule der Brüder Posin, das Zentrum für Theaterdokumentation des ehemaligen Theaterverbandes der DDR, das Dokumentationsfilmstudio »Transfer Film und TV« und die Präsenzbibliothek des Kulturministeriums, deren Bestand von rund 100.000 Bänden einen imponierenden Überblick über die DDR-Verlagsgeschichte von 1960 bis 1990 gibt. Daneben gibt es Atelierräume für Künstler, die Galerie Dr. Christiane Müller, die sich ausschließlich auf Kunst von Frauen konzentriert, das neu eröffnete Café »Clara 90«, das als Raum für Veranstaltungen genutzt werden soll. Da das Haus-Drama bis jetzt über keine eigene Bühne verfügt, sind Kleinprogramme einzelner Schauspieler als Aufführungen vorgesehen; daneben veranstaltet man Lesungen, deren erste am Samstag von Thomas Brasch bestritten wurde, daneben soll es einen regelmäßigen Kritikerfrühschoppen geben: Berliner Kritiker werden geladen, um zusammen mit einem Regisseur über aktuelle Inszenierungen zu diskutieren. Die erste Kritikerrunde fand gestern mit Frank Castorf zu dessen Inszenierungen Die Räuber und John Gabriel Borkmann statt. Es ist auch daran gedacht, das Haus-Drama für gemeinsame Lehrveranstaltungen der Humboldt-Universität und der HdK für Vorträge, Workshops, Kolloquien usw. zu öffnen.
Daneben wünschen sich die Geschäftsführer und konzeptionellen Gestalter Dr. Petra Pamer und Harald Müller nicht zuletzt aufgrund der Geschichte des Hauses und seiner Lage unweit der vormaligen Grenze eine verstärkte Verständigung über die deutsche Vergangenheit, »die als roter Faden alle Veranstaltungen durchziehen soll« — Begegnungsstätte soll das Haus werden, Ort der Annäherung: ein großartiges Projekt ist es bereits jetzt, hoffentlich wird es soviel Spektakuläres geben, wie der Name verspricht. Michaela Ott
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen