Sehnsuchtsvolle Blicke

■ Beim Berlinale-Empfang im Interconti warteten alle auf die Stars

Berlin. Der Duft von Chanel No. 5 hing schwer in der Luft, am kalten Buffet roch es nach Fisch. 15.000 Scheibchen Räucherlachs wurden im Laufe des Abends vertilgt, außerdem Hunderte von Pastetchen verspeist, 800 Flaschen Weißwein entkorkt, ebenso viele mit Rotwein entleert, hektoliterweise Bier gezapft, rund 300 Melonen geachtelt und mit 15 Kilogramm Parmaschinken garniert. Und viel dummes Zeug wurde geredet.

Geladen hatten für den späten Freitag abend der Regierende Bürgermeister von Berlin und seine Gattin Monika. Gekommen waren über 1.000 Personen, die manchmal mehr, meist weniger mit der Berlinale 1991 zu tun haben. Der Empfang fand statt im großen Saal des Hotel Intercontinental in der Budapester Straße. Zum Schluß waren die meisten Gäste besoffen.

Was auf einem Empfang geredet wird, ist kaum der Rede wert, ist Nebensache. Die Hauptsache ist, daß man den einen oder die andere sieht, die man schon mal gesehen hat. Und zwar im Fernsehen, Theater oder im Kino. Über diese Leute, die Stars eben, redet man dann mit Leuten, die auch keine Stars sind. Es sah damit aber mau aus im Interconti. Jane Russel tauchte den ganzen Abend lang nicht auf, Loriot haute gleich wieder ab. Irgendwo soll Philippe Noiret gestanden haben, bloß wo? Immerhin: Wim Wenders drückte sich gleich am Eingang herum, und Rosa von Praunheim zog mit seiner Phantasieuniform alle Blicke auf sich. Auch Karsten Flöter, der Schwule aus der Lindenstraße, war da. Aber was soll man über den schon reden? Volker Schlöndorff hatte wenigstens Margarethe von Trotta und Jutta Lampe im Arm. Die meisten Promis aber kamen aus der zweiten Reihe.

Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl, die im vergangenen Jahr noch in der ersten saß, war wieder auf dem Kudamm einkaufen und trug ein Handtäschchen von Coco Chanel. Sie habe den Eröffnungsfilm wegen einer Veranstaltung der »Frauenunion« leider nicht gesehen. Ihr Parteikollege Eberhard Diepgen hingegen schon. Von einer RIAS-Reporterin befragt, wie er ihn denn gefunden habe, äußerte das Stadtoberhaupt, er sei sich nicht sicher, ob das ein »typischer Kinofilm« gewesen sei. Es folgten weitere typische Diepgen- Nullsätze, à la »Dieser Film ist typisch für die Probleme unserer Zeit«. Na gut, wir sind ja auch nicht sicher, ob Herr Diepgen ein typischer Bürgermeister ist.

Um 23.45 Uhr ging plötzlich der Sekt aus. Einige Gäste verließen unter Protest den Saal, die anderen begnügten sich mit Weißwein und hofften, daß vielleicht doch noch jemand käme. Doch so viele sehnsuchtsvolle Blicke die Voyeuristen auch schweifen ließen: Jane Russel und ihresgleichen waren einfach nicht erschienen. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, daß Philippe Noiret, nachdem er die Empfangsgesellschaft kurz begutachtet hatte, sofort ins Berliner Nachtleben abgezogen war. Man wurde mißmutig, lästerte über schlecht angezogene Gäste, und die ersten angetrunkenen geladenen Gestalten drückten ihre Zigarettenkippen frustriert in den Essensresten aus. Etwa zwei Stunden später erklärten die Kellner, daß »nun Schluß« sei. Also holte man seinen Mantel ab, schenkte der Garderobenfrau zwei Probepackungen Marlboro Lights — die zu Beginn verteilt wurden — und wartete eine halbe Stunde aufs Taxi.

Rund 36 Stunden später besuchte der Meister, der den Empfang geschwänzt hatte, die Büroräume taz. Jean Luc Godard, der gerade in Berlin einen neuen Film dreht, prüfte die Lichtverhältnisse im vierten Stock des Hauses Kochstraße 18. Die RedakteurInnen des Feuilletons waren glücklich. Eine Szene im neuen Streifen soll in einer Zeitungsredaktion spielen. Godard wählte uns — die Gebete der Kulturredaktion sind erhört worden. Bald kommt der Meister ein zweites Mal, dann bringt er seine Ausrüstung mit. Wir werden nicht verraten, wann das sein wird. Denn es sind einfach noch zu viele von diesen Empfangsgästen in der Stadt, die so lange mit sehnsuchtsvollen Blicken werfen, bis sie jemanden tödlich getroffen haben. CC Malzahn