Vorlauf: Die Doublette des Michael Jackson

■ "Das gestohlene Gesicht" von Marian Kiss, ZDF, 23.25 Uhr

Eines Tages, es ist noch gar nicht so lange her, wurde dem Südafrikaner Feisal Saint-Anthony sein Gesicht gestohlen. Und dieses Gesicht wurde weltberühmt. Es war Milliarden wert. Denn der neue Besitzer dieses Gesichts heißt Michael Jackson. Seit dieser Zeit gibt es also zwei Michael Jacksons.

Die Geschichte dieses spektakulären Raubs erzählt Marian Kiss in ihrem kleinen Fernsehspiel. Sie beginnt in einem Ghetto von Johannesburg. Hier wurde vor dreißig Jahren Feisal Saint-Anthony geboren. Seine Ahnen hatten einen langen Weg zurückgelegt: Sie kamen aus Java, Malaysia, Indien. Sie waren Schotten, Kreolen und Schwarzafrikaner. Das hatte Konsequenzen.

Feisal Saint-Anthony sah aus wie kein anderer. Mit seinem Gesicht gehörte er nirgendwo dazu: Für die Weißen zu schwarz, für die Schwarzen zu weiß, für die Inder nicht Inder genug, wird er zum häßlichen, fehlfarbenen Außenseiter, der noch nicht einmal für eine Straßengang taugt. Also geht er nach Kapstadt, hilft an einem Theater Kostüme zu nähen und wird als tanzender Sänger entdeckt.

Auf einer Europatournee setzt er sich von der Gruppe ab und landet in Berlin. Er wohnt bei einer Stripperin, arbeitet als Hausflurputzer, Kellner und schließlich als Go-Go- Man in Diskotheken. 1988 löst er eine kleine nächtliche Massenhysterie aus, als er von tanzenden Teenis als Michael Jackson identifiziert wird. Jackson hat zu dem Zeitpunkt gerade seine verläufig letzte Schönheitsoperation absolviert und sich eben jenes androgyne Idealgesicht modellieren lassen, das Feisal Saint- Anthony von Natur aus besitzt. Das Original wird zur Doublette, der Häßliche zum Objekt der Begierde.

Eine Berlicher Geschäftsfrau, die mit Sinn fürs Praktische eine Doppelgängeragentur betreibt, stellt diese fast schon metaphysische Verwirrung auf die Füße des Nützlichen. „Du hast“, sagt sie zu Feisal, „bisher eine Menge Streß mit deinem Gesicht gehabt. Man kann sich das gestohlene Gesicht auch wieder zurückholen. Wenn Mr.Jackson dir dein Gesicht stiehlt, ist es nur legitim, daß du ihm die Show stiehlst.“

Durch das Erlernen von Play- Back-Grimassierung, durch Ballettuntericht und Coiffeurkunst, durch Schminke und Fummel wird das Original zur Kopie seiner Kopie abgerichtet. Vor einem Bildschirm studiert Feisal die Jacksonschen Pirouetten ein, und man weiß nicht, ob die singende Tanzmaschine da auf dem Bildschirm im Bildschirm tatsächlich Jackson ist oder Feisal, vor dem Feisal seine eigenen Bewegungsabläufe überprüft. Stammten die beiden noch aus der Zeit des realen Films, so würde man sie als „Zelluloid-Gespenster“ bezeichnen. In der Zeit des Videos aber sind der synthetische Jackson-Feisal und der echte Feisal-Jackson nur noch Datengespenster.

Doch die Manipulation der Daten funktionert. Immer wenn die Ikone sich der Öffentlichkeit zeigt, gerät diese außer sich. Und während der echte Jackson nur noch medial präsent ist, spaziert der leibhaftige kameragestützt auf dem Alexanderplatz umher; und die Massenkonsumenten lassen sich ein Autogramm aufs T-Shirt oder in den sowjetische Reisepaß applizieren. Er habe, erklärt Feisal nicht ohne Stolz, seine Rolle schon vor 8.000 Menschen gesungen. Die meisten hätten geweint.

Marian Kiss hat keinen Dokumentarfilm gedreht, sondern sie erzählt mit dem dokumentarischen Material ein kunstvoll gebautes Märchen von einem, der auszog, berühmt zu werden, und der als Fälscher Erfolg hat, weil das Original eine Fälschung ist. Und das ist in unseren Zeiten, da der Televoyeur in datensimulierten Doubletten, von Saddam Hussein über George Bush bis hin zum Fernsehkriegsfake, geradezu ertrinkt, allemal von höchster Aktualität.Peter Blie