ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Vielleicht müssen deutsche Schlager so sein * "Die Peitsche des Lebens" / "30 Something"

Ich bin ja von meiner psychischen Grundstruktur her Optimist, aber daß „Der Plan“ noch einmal eine Platte machen würden, hätte ich wirklich nicht gedacht. Das letzte Lebenszeichen datiert auf das Jahr 1987 zurück, wo das Düsseldorfer Trio mit einer auf die damals aktuelle LP zugeschnittenen Bühnenshow die Lande bereiste, allenthalben ein eher verunsichertes Publikum zurücklassend. Offensichtlich überforderte das Hantieren mit selbstgemalten Theaterkulissen und kubistischen Pappinstrumenten in seiner rührend-trotzigen Unprofessionalität den damals schon videoverdorbenen Geschmack. Umgekehrt war noch nicht en vogue, was man seither von Madonna und Milli Vanilli gewohnt ist: daß die Musik zur Show offensiv vom Band kommt. At the wrong time at the wrong place also. Als dann unlängst auch noch im Kleingedruckten der Meldungsspalten zu lesen war, daß der Bandbus auf der A4 kurz hinter Hamburg einem Motorbrand zum Opfer gefallen war, dachte sich jeder der ca. 35 noch verbliebenen Plan-Fans seinen Teil ...

Die neue LP Die Peitsche des Lebens ist denn auch, trotz der erklärten Absicht, allem Experimentellen abzuschwören und die unkomplizierte Schlagerseite der Plan-Tradition wieder mehr in den Vordergrund zu rücken, die wohl seltsamste, ja depressivste Platte der Rheinländer geworden. Schon das Cover — es zeigt die Band als Jäger des verlorenen Schatzes inmitten von Elefantenfüßen, Schlangenhäuten, diversen Masken und allerhand obskuren Soundtracks (zumTeil so sehr sechziger Jahre, daß sie schon gar nicht mehr wahr sind) — zeugt von eher abgründigem Humor. Und die Musik läßt keinen Zweifel aufkommen, daß es ernst damit ist. Die Arrangements sind oft bis aufs Skelett reduziert; aus den bekannten Tschugga-tschugga-Rhythmen höhnt unversehens das Nichts, und Stücke wie Alter Mann oder Das Böse kommt auf leisen Sohlen halten musikalisch, was sie vom Titel her versprechen. Irgendetwas muß diesen Jungs eine harte Zeit gegeben haben. In Anders sein verhallt der fromme Wunsch, nochmal von vorne anzufangen, letztlich doch an den Gestaden des Realitätsprinzips. Auch Spiel 77 reißt da nichts raus. Höhepunkt aber ganz klar das den unabänderlichen Gang der Dinge in 3:17 min zusammenraffende Alles ist sinnlos. Zunächst wiederholt eine an Camillo Felgen erinnernde Grabesstimme leitmotivisch die Titelzeile, untermalt von Rhythmen, die sich monoton und mahlend dahinwälzen; bis es urplötzlich 13 schlägt, und ein Wechsel in Ton- und Gangart Unvorhergesehenes ankündigt. Ein setzt der Frauenchor, süß und schmelzend, aber auch das geplagte Bewußtsein zu wieder neuen Kulturleistungen im Sinne Freuds aufpeitschend: „Setz dir ein Ziel! Tu so als ob! Tu so als gäb's einen Sinn und ein Ziiiiiiehl!“ Die letzte Note wird lustprämienverheißend in die Länge gezogen. Doch aus welchen Gründen auch immer: das daraufhin einsetzende Solo der gestopften Trompete (die in Wahrheit ohnehin ein Synthesizer ist) verhallt unerlöst, das musikalische Geschehen verfinstert sich wieder zur mythischen Wiederkehr des Immergleichen. Das heißt konkret: Titelzeile ad libitum, bzw. bis zum Ausblenden.

So lebten sie hin. Leise versöhnlich allenfalls das letzte Stück, der Seemannsblues Das war so schön, vorgetragen im gehobenen Shanty-Stil: ein Salzwassermatrose erinnert sich an bessere Zeiten. Doch was bei Geringeren, bei den Grönemeyers und Lindenbergs unweigerlich zur nostalgischen Viermasterklamotte geraten wäre, mausert sich bei den hier in fremden Gewässern wildernden Erzdüsseldorfern dann doch noch zur exemplarischen Meditation über Jugend, Alter und Alkoholismus: Das Lebensschiff schlingert auf hoher See dahin, Pardon wird nicht gegeben, was bleibt, ist der Blick zurück nach vorn. Tolle Platte, aber wer das kaufen soll, ist mir schleierhaft.

Vielleicht müssen deutsche Schlager so sein, wenn sie gut sind. Vielleicht wird da aber auch einfach sexuell zuviel wegsublimiert. Anderswo jedenfalls scheint es leichter zu sein, reich, berühmt und Popstar zu werden. „Carter The Unstoppable Sex-Machine“, Englands jüngster Hype, protzen schon im Namen unverhüllt auf. Und angeblich wollen wirklich alle das sehen, reißen sich schon vor dem Konzert die Kleider vom Leibe, um eine Karte zu kriegen. Dabei ist's ein Duo, von Konzept und Bühnenshow dem Plan noch nicht mal unähnlich: zwei Jungs lassen ein Rhythmusmaschine laufen und fuhrwerken dazu wild mit ihren Gitarren rum. Der eine ist Mützenfetischist, der andere sieht auch so gefährlich aus. Ab und zu gröhlen sie unvermittelt „Wham Bam Thank You Ma'm!“ oder ähnliches ins Mikro. Schweinös? Aber nein, natürlich entpuppt sich 30 Something schnell als das Werk von Spaßvögeln, Carter U.S.M. als die britische Antwort auf They Might Be Giants. Stücke wie Sealed with a Glasgow Kiss oder The final Comedown geben schon im Titel einen Begriff von der speziellen Färbung dieses Humors, vollustige Comedy-Intros über Dickwerden und Muskelschwund tun ein übriges. Echt gewagt allerdings der Versuch, Punk, Heavy Metal, Glam-Rock und Pet-Shop-Boys-Einflüsse miteinander zu kreuzen. Kaum zu glauben, aber das geht tatsächlich und kann, in gewissen Maßen versteht sich, sogar durchaus genossen werden; man gönnt sich ja sonst nichts.

—Der Plan, „Die Peitsche des Lebens“ (Aka Tak)

—Carter The Unstoppable Sexmachine, „30 Something“ (Rough Trade)

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