Chancen für die Diplomatie?

■ Das irakische Rückzugs- und Verhandlungsangebot wurde zu schnell zurückgewiesen

Auf den ersten Blick war es die Wiederholung eines bekannten Rituals: Der Irak gibt eine Erklärung ab, die erneut ein Junktim zwischen dem irakischen Rückzug aus Kuwait mit dem israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten postuliert; die USA, Großbritannien, Kuwait und Saudi-Arabien antworten — wie gehabt — mit einem kategorischen Nein. Doch inzwischen geht es für den Irak um das nackte Überleben. Anders als frühere, teilweise durch inoffizielle Kanäle lancierte Verhandlungsangebote, richtete sich diese öffentliche Erklärung an drei Adressen: Nicht einfach an ein gegnerisches und ein befreundetes Lager, sondern drittens an die seit kurzem auftretenden — gewichtigen — Vermittler: an den Iran und vor allem an die Sowjetunion. Letzteres ist deshalb möglich geworden, weil die alte Rivalität zwischen den Westmächten und der Sowjetunion um den jeweiligen Einfluß im Nahen Osten auch nach dem Ende des Kalten Krieges in neuen, wenn auch gemäßigten Formen weiterbesteht. Der Rücktritt des sowjetischen Außenministers war ein Symptom dafür. Mittlerweile melden sich die Befürworter einer an ältere Traditionen anknüpfenden „proarabischen“ sowjetischen Nahost-Politik erneut zu Wort.

Die Bagdader Erklärung, die nicht von Saddam, sondern von dem kollektiven Führungsgremium des Iraks, dem Revolutionären Kommandorat, abgegeben wurde, ist ein Meisterwerk an Doppeldeutigkeit. Das neuerdings explizierte Angebot, die irakischen Truppen aus Kuwait zurückzuziehen, wird durch einen verlängerten Forderungskatalog konterkariert; doch ist die Verbindung der beiden Themenkomplexe so vage, wie es die Grammatik nur irgend erlaubt. Die Erklärung kann als Zeichen der Entschlossenheit gewertet werden, und bietet dem irakischen UN-Botschafter Al-Anbari zugleich beste Chancen, den Forderungskatalog als eine denkbare Materialsammlung für Verhandlungen nach einem irakischen Abzug aus Kuwait zu deklarieren.

Inzwischen haben die USA und Großbritannien ihr Kriegsziel unter der Hand neu definiert und weder Saudi-Arabien noch die kuwaitische Exilregierung haben dem offen widersprochen: Es geht nicht mehr allein um die Befreiung von Kuwait, sondern um die Zerstörung des Iraks. Daß die Kriegsziele in dieser Weise neu festgelegt worden sind, zeigt die brüske Ablehnung des irakischen Rückzugs- und Verhandlungsangebots. Dies ist eine der wichtigen politischen Wirkungen der Erklärung. Sie stärkt durch die explizite Anerkennung der UN-Resolution 660 darüber hinaus all jene Regierungen und politischen Kräfte, die sich seit dem 2. August um Deeskalation und — seit Kriegsbeginn — um einen Waffenstillstand bemüht haben. Beides könnte für die Sowjetunion und den Iran die Voraussetzungen dafür schaffen, auf diplomatischem Wege eine Redefinition der Kriegsziele im Sinne der UN-Resolution 678 zu erzwingen. Das Aushandeln einer Feuerpause, in der man sich über die Modalitäten eines Waffenstillstandes einigen müßte, ist erst danach denkbar.

Die Aussichten für einen solchen diplomatischen Versuch stehen nicht zum besten: Die Zeit arbeitet eindeutig für die Verwirklichung jener Kriegsziele, die durch den letzten UN-Beschluß nicht gedeckt sind. Denn täglich fallen die Bomben auf den Irak. Die Regierung der USA sind offensichtlich nicht bereit, „der Diplomatie eine Chance zu geben“. Nina Corsten