Die wilde Loire bleibt vorerst ungezähmt

■ Gericht erkennt dem Staudammprojekt die Gemeinnützigkeit ab/ Regierung kann Richterspruch übergehen

Paris (taz) — Dank zivilen Ungehorsams und einem Richterspruch sieht es ganz so aus, als würde die Zivilisation an Europas letzter Wilden vorübergehen: der Loire wird sobald kein Staudamm-Korsett verpaßt werden. Das Verwaltungsgericht von Clermont-Ferrand entschied diese Woche, daß die Feststellung der Gemeinnützigkeit des Bauprojekts zu Unrecht erfolgt sei. „Wenn wir den Bauplatz nicht besetzt hätten, wäre das Verfahren zwar auch annuliert, aber der Damm in der Zwischenzeit längst gebaut worden“, meinte der Vorsitzende der Loire- Freunde, Jean-Francois Arnoult.

Seit 1986 betreibt die Loire-Entwicklungsgesellschaft EPALA die Domestizierung der Loire. Ein System von Staudämmen und Wehren soll den Unterlauf vor Hochwassern schützen und zugleich den Atomkraftwerken an der Loire genügend Kühlwasser garantieren. Das Komitee „SOS Loire Vivante“, zu dem sich zwanzig Naturschutzinitiativen, darunter der „World Wildlife Fund“, zusammengefunden haben, besetzte vor zwei Jahren den Bauplatz in Serre-de-la-Fare im Departement Haute-Loire, um die Bauarbeiten zu verhindern. Die Umweltschützer wollen die Loire als Wildlauf erhalten haben, verweisen auf die Risiken eines Dammbruchs und die ökologischen Schäden durch Großbaustellen. Die 75 Meter hohe Staumauer in Serre hätte eine der schönsten Schluchten des Landes überfluten lassen.

Im Februar 1988 hatte der örtliche Präfekt die Gemeinnützigkeit des EPALA-Projekts festgestellt. Damit war der Weg frei für Enteignungen und Bauarbeiten. Die Umweltschützer legten Klage ein, der diese Woche stattgegeben wurde. Das Gericht in Clermont stellte fest, daß der Präfekt gar nicht für Vorhaben zuständig sei, die hydroelektrische Bedeutung haben. Das sei allein Sache des Staatsrats in Paris. Im Besetzercamp Serre-de-la-Fare floß der Schampus. Die EPALA hat inzwischen angekündigt, vor dem Staatsrat Berufung einzulegen.

Wahrscheinlich wird es Anfang nächster Woche einen Beschluß der Regierung geben. Der Ministerrat hat die Macht, die Gemeinnützigkeit eines Bauvorhabens nach Rücksprache mit dem Staatsrat zu dekretieren. Landwirtschaftsminister Louis Mermaz hat dies bereits gefordert. Doch im Kabinett sind bereits Kompromisse diskutiert worden. So wird statt an Staudämme an den Bau von Rückhaltebecken und Deichen gedacht, um Überschwemmungen zu verhindern. Alexander Smoltczyk