Gebet zum Golfkrieg

■ Pfarrer Clements fühlt sich schuldig, weil er jungem Schwarzen zur Armee riet

Chicago (taz) — Pfarrer George Clements' Arbeitsplatz ist direkt an der Front. Die hochherrschaftlichen Häuser gegenüber seiner Kirche am Oakwood Boulevard, in den 40er Jahren noch von Amerikas erster schwarzer Bourgeoisie bewohnt, sind zerfallen und zur Hälfte unbewohnt. Das Gebäude der ehemaligen Stadtbibliothek an der Ecke zur Drexel Avenue gleicht dem Schauplatz eines Scud-Angriffs. Dahinter öffnet sich der Blick auf ein weites Niemandsland, aus dem neben einigen Geschäftsruinen nur noch ein paar rote Ziegelstein-Hochhäuser emporragen. Die zu über 90% von Schwarzen bewohnte „Southside“ Chicagos weist die höchste Konzentration von Sozialwohnungen in den USA auf.

Inmitten dieser verwahrlosten urbanen Szene nimmt sich der futuristische Neubau von Pastor Clements' Kirche wie ein Raumschiff von einem anderen Stern aus. „Holy Angels: Die erste Kirche der Welt mit Solarheizung“ steht auf der Bautafel angeschlagen. Und auch der Pastor selbst ist ungewöhnlich. Da war zum Beispiel seine umstrittene Kampagne, schwarzen Kids aus den Schulen der Nachbarschaft einer Karriere in den US- Streitkräften zuzuraten. In den letzten Jahren, so erzählt Pfarrer Clements, habe er vielleicht 200 Schülern den Gang zum Rekrutierungsbüro nahegelegt. Einigen, weil dies für sie die einzig realistische Alternative zur Arbeitslosigkeit war; anderen, weil sie nur über die Armee ihre weitere Ausbildung finanzieren konnten; und wieder anderen, weil sie ins Drogengeschäft hineingezogen wurden und „ein besseres Gefühl für Disziplin brauchten“, wie der Seelsorger damals glaubte.

Ob sich schwarze US-Bürger zu den Streitkräften ihres Landes melden sollen, das ihnen bis heute die vollständige wirtschaftliche Gleichberechtigung verweigert, war in den afro-amerikanischen Gemeinden schon immer umstritten. Da gab es die einen, die jeglichen Dienst für dieses Stiefvaterland ablehnten; und da gab es die anderen, die sich durch ihre Pflichterfüllung beim Militär auch einen weiteren politischen Emanzipationsfortschritt versprachen: von den im Film „Glory“ gewürdigten Mitgliedern eines schwarzen Unionsregiments im amerikanischen Bürgerkrieg über die „Tuskagee Airmen“, einer schwarzen Fliegerstaffel im 2. Weltkrieg, bis hin zu den am Golf vor allem in der kämpfenden Infanterie überrepräsentierten Schwarzen.

Als er den Jugendlichen von der Southside Chicagos zu einer militärischen Karriere geraten habe, so erklärt Pastor Clements heute, habe er, wie viele Amerikaner, nicht einmal gewußt, wo die Golan-Höhen liegen. Heute fühlt er sich schuldig, den schwarzen Nachwuchs in einen unnötigen Krieg geschickt zu haben. „Das Schicksal der Jungen liegt schwer auf meinem Gewissen“.

Der Pastor der Heiligen Engelskirche ist gegen diesen Golfkrieg, aus politischen und religiösen Gründen. Doch genau diese Haltung, die er in diesen Tagen unmißverständlich von der Kanzel und vor der Kamera vertritt, bringt ihm neue Schwierigkeiten ein. In Anrufen und Drohbriefen bezichtigt ihn nun das weiße Amerika eines mangelnden Patriotismus.

Vater Clements sieht die unterschiedliche Einstellung von Schwarz und Weiß zu diesem Krieg auch in der Religion begründet. „Weiße haben in ihrer Religion mit der Gewalt keine besonderen Probleme: Lobet den Herrn und reicht die Munition weiter.“ Die schwarzen Kirchen dagegen, von den Katholiken bis zu den Baptisten, seien historisch immer gegen organisierte Formen der Gewalt eingetreten. „Wir Schwarzen haben aus unserer Erfahrung heraus eine größere Achtung für das menschliche Leben.“

So gibt es denn in den Sonntagsgebeten zum Golfkrieg einen entscheidenden Unterschied. In den weißen Kirchen Chicagos beten die Gläubigen einfach nur für ihren Präsidenten. In Pfarrer Clements Kirche und den anderen schwarzen Gemeinden der Southside betet man stattdessen nicht für George Bush, sondern für dessen Erleuchtung. Rolf Paasch