Soll die neue Justiz vor allem vertrauenswürdig oder arbeitsfähig sein?

■ Interview mit Lutz Frohnecke, Vorprüfstelle Halle für die Übernahme von Richtern und Staatsanwälten in Sachsen-Anhalt INTERVIEW

Der Justizminister von Sachsen-Anhalt, Walter Remmers, (CDU) fürchtet den Stillstand der Rechtspflege, wenn nicht bald 650 Richter und 260 Staatsanwälte für seinen Bereich zur Verfügung stehen. Aus der Justiz der ehemaligen DDR stehen derzeit nur die Hälfte bereit. Über ihre „Befähigung“ entscheidet der Richterwahlausschuß. Im Einigungsvertrag ist vorgesehen, daß sich das Gremium zusammensetzt aus sechs Parlamentariern aus Kommune und Land, vier Ex-DDR-Staatsanwälten bzw. -Richtern und einem nichtstimmberechtigten Beauftragten des Justizministers. Dem Richterwahlausschuß vorgeschaltet ist die Vorprüfstelle in den einzelnen Bezirken. Sie arbeitet seit Oktober und verschickt Fragebögen an die Bewerber, in denen sie über ihre politische und fachliche Vergangenheit Auskunft geben sollen. Lutz Frohnecke, 38, war bis Oktober 1990 Richter am Verwaltungsgericht Stade bei Hamburg. Er leitet die Vorprüfstelle in Halle. Zur Zeit prüft er Bewerbungen von 237 KandidatInnen.

taz: Von welchen Justizangehörigen der Ex-DDR werden Sie sich trennen?

Lutz Frohnecke: In jedem Fall müssen wir uns von den großen Fischen trennen. Das sind alle beim Obersten Gerichtshof und beim Generalstaatsanwalt tätig Gewesenen, alle Bezirksstaatsanwälte und ihre Stellvertreter, alle Bezirksgerichtsdirektoren und Stellvertreter, die vor dem Runden Tisch im Amt waren. Das sind ferner alle I-A-Richter und -Ankläger, weil die vom ZK bestätigt wurden und natürlich gehören die MfS-Mitarbeiter dazu und die Mitglieder der SED-Bezirksleitung bzw. -Kreisleitung. Und wenn man die raus hat, kann man mit den anderen differenzierter, sagen wir mal rücksichtsvoller, umgehen.

Sie fragen die Bewerber in den Fragebögen, ob sie sich erinnern können, in der Vergangenheit staatliche Belange den menschlichen übergeordnet zu haben. Diese Frage wird vielfach kritisiert, sie komme einer Selbstanklage gleich. Was bezwecken Sie mit dieser Frage?

Wir entscheiden nicht über Schuld. Es gibt welche, die beantworten diese Frage nicht. Die versuchen uns immer wieder in dieser Ecke zu drängen. Wie Oberstrafrichter oder Oberlehrer. Das ist nicht unser Problem, dem entziehen wir uns auch. Andere bemühen sich, gehen in ihre Gerichtsarchive und ziehen sich mal — ganz nachdenklich — diese Entscheidungen raus, die sie heute nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr fällen würden. Das ist ein kleiner Lernprozeß, der da ausgelöst wird, oder nicht ausgelöst wird.

Fallen diejenigen, die diese Fragen nicht beantworten, durch das Verfahren?

Nein, aber die geben in der Feinabwägung des gesamten Belastungsmaterials psychologisch wertvolle Hinweise darauf, ob jemand bereit ist, sich mit Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Ihnen wird vorgehalten, vorab über die Bewerber zu Gericht zu sitzen, ohne daß die Kandidaten Kenntnis ihrer Akten haben.

Das ist der entscheidende Unterschied in der Auffassung. Wir sehen das ganz sachlich, nur unter Eignungsgesichtspunkten. Kann dieser Herr, diese Dame künftig Partner einer vertrauenswürdigen Justiz sein. Wir müssen uns darüber klar sein, daß Eignung voraussetzt, daß jemand amtswürdig ist. Er muß von der Bevölkerung künftig mit seinen Entscheidungen als Richter oder Staatsanwalt akzeptiert werden. Denn nur dann kann er unser Produkt Rechtsfrieden verkaufen.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie Eignung?

Der Gesetzgeber hat zwei Punkte vorgegeben: Verfassungstreue und Amtswürdigkeit. Wir haben diese Punkte mit Indikatoren zu unterlegen und zu fragen, ob jemand verfassungstreu und amtswürdig ist.

Warum sagen Sie nicht: Wir trennen uns von allen, die jemals in der DDR-Justiz gearbeitet haben?

Das kann man natürlich machen. Dafür gäbe es gute Gründe. Aber sie brauchen eine arbeitsfähige Justiz. Sie können nicht von heute auf morgen den Stillstand der Rechtspflege provozieren. Die Justiz steht auf zwei Säulen: Die Vertrauenswürdigkeit und Sauberkeit der Mitarbeiter, aber auch die Arbeitsfähigkeit der Justiz müssen sie sehen. Sie können nicht die eine Säule abreißen, das ist wenig staatstragend.

Diejenigen, die übernommen werden, müssen zunächst eine dreijährige Probezeit absolvieren, innerhalb derer sie erneut überprüft werden.

Das hat jeder Assesor auch. Daß die aber Leistung bringen müssen und natürlich auch noch mal überprüft werden auf ihre Eignung, bevor sie auf Lebenszeit übernommen werden, das ist doch ganz selbstverständlich.

Sie brauchen in Sachsen-Anhalt doppelt soviele Richter und Staatsanwälte wie Sie zur Zeit beschäftigen. Können Sie bei dem akuten Mangel überhaupt jemanden durch die Maschen der Vorprüfung fallen lassen?

Die Frage kann ich zurückgeben: Kommt's dann darauf noch an? Insofern sind wir völlig frei. Denn ob wir nun zehn mehr haben oder zehn weniger, ist bei dem Mangel auch egal. Interview: Annette Rogalla