Eltern klagen Recht auf Schulbildung ein

■ Lehrermangel führt zu katastrophalen Zuständen an Sonderschulen / Schulaufsicht wiegelt ab

Betreutes Kinderleben

Wilma Faßing, alleinerziehende Mutter von Sonja, einem mongoloiden Kind, hat Sorgen. Seit Oktober kommt ihre Tochter schon um 13.30 Uhr nach Hause und muß von ihr allein versorgt werden. Der Grund: In der Schule am Wandrahm sind vier Lehrstellen unbesetzt. Außerdem seien, so die Auskunft der Schulelternsprecherin Gabriele Fritsch, vier weitere Pädagogen für längere Zeit krankgeschrieben. „Für mich bedeutet das, ich kann keiner geregelten Arbeit nachgehen“, sagt Wilma Faßing, „und für Sonja fallen wichtige Dinge, wie Schwimmen, Werken und Theater AG vorläufig weg.“ Die Entwicklung ihrer Tochter und der regelmäßige Kontakt zu anderen SchülerInnen ist erst mal gestoppt. „Inzwischen habe ich große Mühe Sonja vom Fernsehen wegzukriegen und sie für anderen Dinge zu motivieren“, erzählt Faßing. weiter.

Werner Willker von der Schulfachaufsicht dagegen spricht von „lediglich zwei“ fehlenden Lehrern, da sich die Schülerzahlen vermindert hätten. Das ist einfach nicht wahr“, kontert Elternsprecherin Fritsch, „in Wirklich

hier bitte das Foto

mit dem Kind an der

Hand

keit haben wir in den letzten zwei Jahren unverändert 76 Schüler und das kann auch jeder nachprüfen“.

Tatsache bleibt, daß zur Zeit der gesamte Nachmittagsunterricht am Wandrahm ausfällt. Willker hat zwar „grundsätzlich Verständnis“ für die Sorgen und Nöte der Eltern, könne aber vorläufig auch nichts an der Situation ändern. „Wir werden vielleicht gegen Ende des Schuljahrs den Einstellungsstop für Lehrer aufheben und versuchen, einen neuen Lehrer einzustellen.“ Mehr sei im Moment nicht drin, betont er auf Anfrage.

Doch genau solche leeren Versprechungen hören Eltern und LehrerInnen von Bremer Sonderschulen seit Jahren — und nicht nur am Wandrahm. Inzwischen wollen sie den Mangel an Pädagogen, für sinnvollen Unterricht in Kooperationsklassen, fehlende KrankengymnastInnen sowie die Tatsache, daß viele behinderte Kinder erst gar nicht in eine Schule aufgenommen werden, nicht mehr widerspruchslos hinnehmen. Schon am 15. Januar 1991 wurde auf einer Gesamtelternkonferenz beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen und „die Rechte unserer Kinder einzufordern“. Jetzt haben die Eltern von mehrfachschwerstbehinderten Kindern beschlossen, beim Verwaltungsgericht eine Sammelklage einzureichen, damit auch ihre Kinder in Zukunft ein Recht auf Schulbildung haben. Denn bisher hing die „Beschulung“, wie es im Beamtendeutsch heißt, von bestimmten Bedingungen ab: Nur Kinder, die sich mit Gestik verständigen und ein „Mindestmaß an Kommunikation“ vorweisen können, werden für Sonderschulen zugelassen.

Zum Thema Krankengymnastik soll über die Grünen eine Anfrage in der Bürgerschaft eingereicht werden. Hans-Joachim Sygusch, bildungspolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, dazu: „Es muß garantiert werden, daß körperbehinderte SchülerInnen mindestens drei Stunden wöchentlich krankengymnastische Therapie erhalten.“

Die Praxis in der Körperbehinderten-Schule an der Louis-Seegelken-Straße sieht zur Zeit allerdings ganz anders aus. Dort werden von 120 Kindern nur 30 krankengymnastisch versorgt. Ein unhaltbarer Zustand meinen Lehrer und Eltern. „Die Kinder brauchen diese Förderung dringend, um dem Schulunterricht überhaupt folgen zu können“, erklärt Heidemarie Röttger, stellvertretende Schulelternsprecherin, „das ist für sie lebenswichtig.“ Seit acht Jahren fordert Röttger bei den Schulbehörden die Mißstände zu beseitigen, doch ohne Erfolg. „Noch heute liegt Bremen, was den Bundesstandard mit drei bis vier Stunden betrifft, 20 Jahre zurück.“

Das wüßten zwar alle, doch geändert hätte sich nichts. Insgesamt würden in Bremen mindestens 13 KrankengymnastInnen und 10 Therapeuten fehlen. Birgit Ziegenhagen