Im Schatten des alten IFA-Werkes

■ In Ludwigsfelde, Standort des ehemaligen IFA-Autowerkes, müssen die Bewohner auf frühere Annehmlichkeiten verzichten/ Bibliotheken geschlossen, Alte und Kranke werden nur schlecht versorgt/ Zaghafte »Aufbruchstimmung«

Ludwigsfelde. Beim Betreten der ehemaligen Kriegsgefangenenbaracke, die sich heute Rathaus nennt, beim Anblick der auf dem Flur gestapelten Kisten und beim Rundgang durch die Amtsstuben bestätigt sich das gängige Klischee: Es herrscht zwar kein Chaos, aber der Aufbruch scheint auf sich warten zu lassen. Die Finanzmisere der ostdeutschen Kommunen macht auch vor dem brandenburgischen Ludwigsfelde nicht halt, das Geld ist knapp bis gar nicht vorhanden.

Auch der zweite Blick bringt nicht viel Neues. Während sich einerseits kleinere Läden etablieren, Bankfilialen eröffnet werden und Ärzte sich niederlassen, wird andererseits mit dem Kahlschlag begonnen. Das Clubhaus des ehemaligen IFA-Autowerkes — jetzt laufen hier Mercedes- Wagen vom Band — ist weg, Bibliotheken sind geschlossen, der Freizeittreff für Kinder ist gefährdet und wie lange noch Filme in dem kleinen Kino laufen, weiß niemand.

Doch beim genauen Hinsehen trübt sich das anscheinend so klare Bild etwas. Nicht alle, die von der »Abwicklung des Ostens« betroffen sind, lassen den Kopf hängen und ergeben sich — zum Beispiel die Angestellten der Stadtbibiothek. Früher gab es in Ludwigsfelde zehn Büchereien. Allein zwei waren im ehemaligen IFA-Autowerk angesiedelt; die LehrerInnen konnten sich in ihrem »Zentralinstitut für Weiterbildung« Fachliteratur ausleihen; das Werk für Rohrleitungsbau verfügte über eine ansehnliche Büchersammlung und selbst für die ehemaligen NVA- Soldaten gab es Lesestoff genug. Doch die Zeiten sind nun vorbei: Die Leihstellen sind sämtlich geschlossen.

Bleibt für das 23.000-Seelen- Städtchen also nur noch die einzige öffentliche Bibliothek mit einer Zweigstelle. Jene war früher nicht nur sehr gefragt, sondern auch besonders aktiv. Den Kindern wurde in speziellen Leseförderungskursen die Lust am geschriebenen Wort näher gebracht. Zu knapp 300 Veranstaltungen noch im letzten Jahr lud man Schriftsteller zu Lesungen.

Schlechte Zeiten für die Öffentliche Bibliothek

Aus und vorbei. Die Währungsunion kam, doch die schönen, blauen Hunderter fanden offensichtlich nicht den Weg in die Bibliothek. Die ist jetzt pleite, auch zur Anschaffung neuer Bücher fehlt das Geld. Zur Zeit hat die sich in Trägerschaft der Stadt stehende Bücherei noch nicht einmal einen Etat. Die stellvertretende Leiterin Manja Klawitter schätzt, daß sie in Zukunft nur noch einen Bruchteil der ihr bislang zur Verfügung stehenden 40.000 Mark bekommen wird. Das bedeutet schon jetzt: Personalabbau von elf auf sechs Stellen. Damit verbunden — und das schmerzt besonders — gibt es kaum noch Möglichkeiten zu Aktivitäten neben dem normalen Bücher-über- den-Tresen-schieben. Genau dies aber war es, was Manja Klawitter und ihre Kolleginnen an dem Job so schätzten: die Bibliothek als kultureller Treffpunkt und wichtiger Bereich im sozialen Leben. Wie es weitergeht? Das wissen sie auch nicht so genau.

'Ludwigsfelder Bote‘ denkt nicht ans Aufgeben

Trotz aller Frustrationen wollen sie weiter »für ihre Bibliothek kämpfen«. Da wird dann schon mal die Kaffeekasse geplündert, um ein gefragtes Sachbuch kaufen zu können. Wenn die harten Zeiten aber durchgestanden sind, wird es besser, hofft Frau Klawitter, denn »ganz ohne Bücher wird es auch in Zukunft nicht gehen«.

Ebenfalls nicht ans Aufgeben denken zwei andere Ludwigsfelderinnen, Helga Buthmann und Marina Ujlaki. »Das war erst der Anfang«, meinen sie, »wir wollen noch wachsen«. Wir — das ist der monatlich erscheinende 'Ludwigsfelder Bote‘, dessen erste Nummer vor wenigen Tagen herauskam. Das in Zusammenarbeit mit der Stadt erscheinende Blatt — es pocht allerdings auf Unabhängigkeit — dient vor allem einem Zweck: die BürgerInnen über das örtliche Geschehen zu informieren, die oft genug komplizierten Behörden-Angelegenheiten etwas transparenter machen. Hier fühlen sich die gelernten Journalistinnen, denen noch ein Photograph zuarbeitet, ganz in ihrem Metier.

Doch auch sie haben Probleme mit dem Geld. Die Finanzierung der unentgeltlich verteilten Zeitung ist alles andere als gesichert, die Druckereikosten sind beträchtlich. So verwenden sie einen beachtlichen Teil ihrer — noch — ehrenamtlichen Arbeitszeit auf die Suche nach Anzeigenkunden, der redaktionelle Teil muß zurückstehen.

Alte und Kranke werden schlecht betreut

Dennoch, so glaubt Marina Ujlaki, lohnt sich die ganze Sache doch irgendwie. Die positive Resonanz der LeserInnen hat sie selbst beeindruckt. Das Blatt wurde, wie es scheint, sehr aufmerksam gelesen. Den Grund glaubt die Redakteurin zu kennen: »Hier ist alles im Umbruch, die Leute geraten ins Schwimmen. Da halten sie sich eben an unserer Zeitung fest.«

Das Gefühl, sich an nichts mehr festhalten zu können, haben in Ludwigsfelde alte und kranke Menschen. Besonders schlimm wurde es für sie Ende letzten Jahres. So schwirrten sogar Gerüchte durch den Ort, wonach die noch vor Ort tätigen Gemeindeschwestern ersatzlos gestrichen werden sollten. Die Versorung der Kranken wäre damit gefährdet gewesen. Die Befürchtung bewahrheitete sich allerdings nicht. Anfang des Jahres zog die neue Sozialstation in das Gebäude der ehemaligem Volkssolidarität ein, alle zehn Krankenschwestern wurden übernommen. Doch auch sie arbeiten derzeit auf einer recht unsicheren Basis, denn die Finanzierung ist mit den Krankenkassen bislang nicht geklärt.

Die Trägerin der Sozialstation, die Johannische Kirche, legt die Kosten noch aus — aber nicht mehr lange, wie Verwaltungsleiter Hans- Jürgen Klavehn hofft. Gefährdet sieht er seine Arbeit momentan nicht, aber viele Änderungen würden durch die verworrene Lage erschwert. Die medizinische Versorgung der Betroffenen steht zwar nach wie vor im Vordergrund, doch das reiche nicht aus. Gerade ältere Menschen sind von den »Wende-Problemen« besonders belastet, angefangen bei neuen Formen von Bürokratie bis zur unsicheren Zukunft. Klavehn möchte deshalb sein Team mit einem oder mehreren Sozialarbeitern verstärken. Theo Weisenburger