Vom k&k-Baby zum potenzlosen Dichter

■ »Peepshow« von George Tabori im Studiotheater bat

Die Bühne ist ein blau ausgeschlagenes Kästchen. In diesem Kästchen sitzt ein Männchen, der Willi, der gerade von seiner Mutter gegen seinen Willen in die Welt, das heißt in diese Schachtel, das heißt in einen Laufkäfig geworfen worden ist. Die Stäbe dieses Käfigs aus dem ersten Bild sind metaphorisch: der kleine Willi kommt von seiner Mutter, an die ihn der Haß wegen der Vertreibung bindet, sein Leben lang nicht mehr los. Jede Frau wird er in der Folge hassen, das heißt begehren, das heißt sich unterwerfen, damit er ein Dichter wird.

Eine uns aus der Literatur der Jahrhundertwende — man denke an Otto Weininger — bekannte Mannespsychostruktur wird in diesem Stück von George Tabori reaktiviert: unter dem Titel »Peepshow«, der auf den Objektcharakter des weiblichen Körpers abzielt, versammelt er Dialoge, die den Werdegang unseres Willis vom k&-Baby bis zum nichtskranken Krüppel rekonstruieren.

In 14 voneinander abgesetzten und sehr unterschiedlich aufgelösten Einzelszenen geht der Willi in seinen jeweiligen Entwicklungsstadien durch die Entwicklungsstation Frau hindurch. Nach der Mutter ist es, wie damals immer, die Amme, danach die falsche Garbo, eine Animierdame, danach die Zimmerwirtin, im übernächsten Bild dann schon die Ehefrau. Obwohl ihm die Amme mit seinenm Glied, dem großen Nieser, bekanntmacht, scheint die Potenz später nicht richtig ins Fließen zu kommen. Zu Weihnachten jedenfalls erhält er von seiner Frau einen Riesendildo, allerdings auch einen Embryo, selbstgemacht, wie sie sagt, im Einmachglas. Garbo erklärt ihm nach erzwungenem Beinespreizen, sie fände es wie »Korbflechten«, sie hält's daher lieber mit anderen, am besten funktioniert das Spiel nach wie vor mit der Amme, vielleicht, weil sie inzwischen seine Hündin geworden ist. Sein Scheitern bei den Frauen befähigt ihn bekanntlich zum Dichter: in einer düsteren Szene geben ihm auf fahrbaren Eimern sitzende KZ-Frauen den Text seiner Phantasmen ein. Er sinniert über das Nichts, das durch die Lüfte gleitet — eine Heidegger-Parodie?

Die Rache für diese Sublimierung ist jedenfalls martialistisch weiblich: Gegen Ende vereinigen sich Amme-Ehefrau-Garbo zum rächenden Dreigestirn in Gestalt dreier Krankenschwestern und schneiden ihm seine potenzlose Potenz endgültig ab.

In den Stücken sind — vermutlich vom jungen Ensemble, zu dem auch Schauspielstudenten der Ernst- Busch-Schule gehören, und ihrem Regie-Dramaturgie-Duo Peter Schroth und Peter Kleinert — zahlreiche Zeitbezüge eingearbeitet worden: Man spricht vom Hundedreck am Kottbusser Tor ebenso wie von Ausländern, Hausbesetzern und vom Kanzler, von der blockierten Telefonleitung, vom Krieg als Fortsetzung der Kindheit mit anderen Mitteln und vom Mord, der besser als Selbstmord ist. Der Text hat allerhand Witz, gute Entpathetisierungsformeln, harte Passagen, dennoch ist er wie immer bei Tabori kein Drama, sondern eine Kollage, die leicht unter der Hand zerfällt. Auch in dieser Inszenierung fehlt der große, verbindende Bogen, so hart und überzeugend die einzelnen Szenen sind: Reduziert auf diese zeitlose Schachtel, geraten einzelne Szenen zu lang, die Zwischenblacks zu einschneidend — man verliert mitten im Spiel den Zusammenhang. Zudem ist unser Willi (Sewan Latchinian) kein szenenübergreifendes Strahlemännchen, sondern nur ein grimassierender Glatzkopf mit großer existentialistischer Geste, der mehr enfant terrible sein möchte als ist. Dafür wird das blaue Einwickelpapier rund um die Schachtel von einer Explosion, die nichts mit Willis Nichtswahn zu tun hat, gesprengt: Die Frauen, allen voran Gabriele Schmeide als Amme und Kathi Liers als Ehefrau überschreiten ihre eigenen und die Käfiggrenzen, indem sie ganz durch die Erniedrigung gehen. Willi in seiner ganzen Schlaffheit bewirkt wider Willen, daß sie sich zu wunderbaren Furien auswachsen, in deren Krallen er nur ein wasser(ball)süchtiges Wasserkopfbaby ist. Eine am Theater selten anzutreffende Vitalität läßt sie eine solche Gewalt gegen sich richten, daß — so etwas wie Leben entsteht; und einen jubeln läßt mit diesen Frauen, die trotz Willi so unberechenbar vollebig sind. Michaela Ott