Verdrehte Nachrichtenverwaltung

■ Interview mit John Palmer, EG-Korrespondenten der britischen Tageszeitung 'The Guardian‘, und Mitarbeiter des „War Report“, der unterdrückte Nachrichten über den Golfkrieg verbreitet

taz: Der US-Fernsehsender CNN hat ein weitgehendes Monopol auf die Kriegsberichterstattung. Obwohl diese häufig einseitig und substanzlos ist, wird CNN von den meisten TV-Medien als das große Vorbild gesehen...

John Palmer: CNN ist für mich nicht das Hauptproblem. In den Sendungen wurden immerhin einige Bilder von der schrecklichen Zerstörung und den Tausenden von Toten und Verletzten gezeigt, die Opfer der Flächenbombadierung von Wohngegenden wurden. Leider haben nur wenige andere TV-Stationen die Bilder von CNN übernommen, wo beispielsweise zerfetzte Kinderkörper gezeigt wurden.

Ihre Kritik richtet sich also gegen die Kriegsverschönerer in den Chefetagen der Medienzentralen?

Das eigentliche Problem ist, daß die große Masse der Kriegsnachrichten, die aus Saudi-Arabien kommt, hauptsächlich von der US-Militärführung, aber auch von den westlichen Alliierten in Umlauf gebracht wird. Die Nachrichten werden stärker kontrolliert und zensiert als während irgendeines anderen Krieges in den letzten fünfzig Jahren.

Warum lassen sich die Journalisten vor Ort dies gefallen. Sie könnten die Zensoren doch vor die Alternative stellen: Entweder wir können schreiben, was wir wollen, uns frei bewegen, oder wir fahren nach Hause...

Die Journalisten haben keine Alternative. Jeder Journalist, der ohne die Erlaubnis des Pool-Führers und ohne entsprechende Begleitung herausfinden will, was an der Front passiert, riskiert, seine Akkreditation zu verlieren. Dies ist schon einigen Journalisten passiert — Fotografen und Zeitungsjournalisten. Das Problem sind also weniger die Journalisten als deren Auftraggeber — Zeitungen, Radio- sowie TV-Stationen, die die Nachrichtenverwaltung und Zensur des Militärs akzeptieren.

Warum wird dies einfach hingenommen?

Es gibt inzwischen Proteste — hauptsächlich von US-amerikanischen Journalisten, die eine stärkere Tradition unabhängiger (Kriegs-) Berichterstattung haben als ihre europäische Kollegen. Viele US-Journalisten vergleichen die Situation am Golf mit der in Vietnam. Ihrer Meinung nach gibt es jetzt noch mehr Kontrolle und Zensur, als während des Vietnam-Kriegs.

Welche Möglichkeiten haben denn die protestierenden Journalisten, um Druck auszuüben?

Ich glaube, falls sich die Situation nicht verbessert, sollten die Journalisten aufgefordert werden zurückzukommen. Denn im anderen Fall legitimiert ihre Gegenwart diese verdrehte Nachrichtenverwaltung.

Wer sollte sie dazu veranlassen, und vor allem wie?

Ich weiß, daß Mediengewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene dabei sind, sich über die fortgesetzte Beteiligung ihrer Mitglieder an dieser von der militärischen Führung dirigierten Nachrichtenverwaltung Gedanken zu machen. Es gibt also eine Diskussion in den Gewerkschaften, ob ihre Mitglieder unter diesen Umständen weiter aus der Golfregion berichten sollen, solange sie ihre Arbeit nicht unbehindert machen können. Natürlich gibt es in einem Krieg immer militärische Restriktionen für Berichterstatter — aber dies geht weit über das hinaus, was normalerweise zu Kriegszeiten praktiziert wurde.

Es gibt Versuche, alternative Nachrichtenagenturen zu etablieren?

Ja, in London gibt es einen informellen Kreis internationaler Journalisten, die die Publikation War Report herausgeben. Dazu gehören Journalisten wie John Pilger, der wegen seiner Enthüllungen über den Vietnam-Krieg bekannte wurde. Ziel ist es, die Geschichten über den Krieg zu verbreiten, die in den normalen Medien entweder gar nicht oder nur stark zensiert vorkommen. Wir versuchen, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, die zwar über interessante Informationen verfügen, aber keinen Zugang zu den Medien haben. Damit wollen wir helfen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker auf das zu lenken, was am Golf passiert.

Ist dies in erster Linie eine britische Initiative?

Wir stellen gerade Kontakte her zu einer ähnlichen Initiative in Frankreich, es gibt Kontakte zu deutschen und palästinensischen Journalisten.

Wie ist das Interesse an den von War Report zusammengestellten Informationen?

Wir arbeiten erst seit zwei Wochen, aber die Nachfrage ist groß. Artikel werden in den verschiedensten Medien nachgedruckt. Aber ich möchte unsere Einflußmöglichkeiten nicht übertreiben. Wir sind eine kleine Initiative, aber jede Initiative ist unter den gegebenen Umständen besser als keine. Interview: Michael Bullard