Erik Ode für Dynamische

■ „Tassilo — Ein Fall für sich (1)“, ZDF, 21.15 Uhr

Zugegeben, das sind Vermutungen. Aber es könnte doch so gewesen sein. Eines Tages sitzt der ZDF-Redakteur Hans-Jürgen Bobermin mal wieder in der Betriebskantine und grübelt, wie sich die brandalte Order von hoch oben — „wir müssen rauf mit den Einschaltquoten“ — ganz neu und ganz genial erfüllen ließe.

In diesem Moment kommt der Redakteur im Ruhrstand (R.R.) an Bobermins Tisch. Der R.R. hat für seine besonderen Verdienste an der Siebziger-Jahre-Unterhaltungsfront ein lebenslängliches Anrecht auf kostenloses Kantinenessen.

Bobermin hat plötzlich den irrsinnig guten Einfall und fragt seinen Kollegen a.D., der als Redakteur so erstaunlich viel konsequenzlos falsch gemacht hat, wie er was heute unbeschadet anders machen würden.

Geschmeichelt legt R.R. los: „Bild und Charakter sind das Geheimnis. Ich würde also mit einem Bild anfangen und mit Bruno Ganz. Wenn dieser berühmte, aber durch sein Peter-Handke- und Botho- Strauß-Theater so arg ruinierte Schauspieler gleich zu Beginn den Mönch am Meer von Caspar David Friedrich nachstellt, fragt sich der Zuschauer, der eigentlich auf frohgemutes TV eingestellt ist, erschüttert: Wird es B.G. auch dieses Mal wieder schlecht gehen? Und schon liegt sendebereichsweit der metallene Geschmack existenziellen Ekels am Sein auf der Zuschauerzunge.

Bobermin modelliert den Kartoffelbrei auf seinem Teller zu einer Klippe, die in einem Meer Meerrettichsauce schwimmt, seufzt und sagt: „Und dann?“

„Dann wird die Erwartung einfach durchbrochen. Bruno Ganz heißt dieses Mal Tassilo S. Grübel und stammt aus der Feder eines verdammt lebenskennerischen Schriftstellers. Ich sage nur Walser. Ja, Martin Walser und Ganz. Also paß auf“, sagt R.R., und Bobermin schreibt jetzt mit: „Tassilo S. Grübler ist finanziell und familiär derart eingeklemmt, daß er dem häuslichen Streit zwischen Mama und herrlich unkonventionellem texanischem Ehehippie nurmehr ins freie Unternehmertum entkommen kann. Da Tassilo am Bodensee ansässig ist — also dort, wo die Schwerreichen ihr Dasein fristen —, die, die alles haben, vor allem Angst (Walser weiß das als Mitbewohner) —, eröffnet er eine Privatdetektei: Büro für Auskunft und Wissen. Und die verkauft Sicherheit.

„Nach der scharfen marktkritischen Erkenntnis, daß der die Nachfrage am besten befriedigt, der das Bedürfnis nach ihr selber schafft, verschickt der Privatdetektiv eigenhändig Erpresserbriefe der nonchalanten Art an die betuchten Nachbarn. Nach ein bißchen Hin und Her wird er dann zur Aufklärung des Falls von seinen Opfern engagiert und darf das heruntergehandelte Lösengeld als Bote selbst in Empfang nehmen.“

„Das ist ja ein Krimi“, sagt Bobermin begeistert.

Doch R.R. macht eine vage Handbewegung. „Ja, schon, aber nicht eindeutig. Explodierende Autos, brennende Teehäuschen, untergehende Segelyachten schon, aber eben spritzig. Da muß man alle Register ziehen: Persiflage auf das Krimigenre, Theatertiefsinn, kleines Fernsehspiel, Ohnesorg-Anklänge, das beste aus der Werbebranche, Abteilung Lifestyle, beißendes Kabarett, versehst du? Tassilo als ideeller Gesamt-Colombo mit breiter Gestig, rotem Schal, Altvatercharme — also so ein Erik Ode für die Dynamiker. Absolut hyperreal das Ganze. Das sprengt doch sämtliche Sehgewohnheiten!“

An dieser Stelle uferte das Gespräch derart aus, daß schließlich eine erbarmungslose sechsteilige Krimiserie das Licht des Sehschirms erblickte.Peter Blie