Die Bundeswehr nicht für die Interessen Özals mißbrauchen

■ Björn Engholm, designierter SPD-Parteivorsitzender und Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, im Gespräch mit der taz/ Der Krieg am Golf ist keine Lösung für die Probleme im Nahen Osten/ Mehrwertsteuererhöhung zur Finanzierung der Einheit/ Präferenz für Bonn als Regierungssitz

taz: Herr Engholm, seit vier Wochen herrscht Krieg am Golf und Streit in Ihrer Partei, wie darauf zu reagieren ist. Alle reden, nur vom designierten Parteivorsitzenden Engholm hört man nichts. In Bonn witzeln Ihre Genossen bereits über den „großen Schweiger aus Kiel“.

Björn Engholm: Das ist doch nicht wahr. Ich habe zu vielen umstrittenen Themen, darunter natürlich zum Golfkrieg, in Präsidium und Vorstand Stellung bezogen und Entschließungen initiiert. Aber noch ist Hans-Jochen Vogel der Vorsitzende, und wenn ich mit ihm einer Meinung bin, dann ist das für die Medien eben nicht so interessant wie die Querschüsse anderer.

Ist der Streit in der SPD — ob es erst dann einen Waffenstillstand am Golf geben sollte, wenn Irak seine Bereitschaft zum bedingungslosen Rückzug erklärt — denn nun beendet oder nicht?

Eine Räumung Kuwaits muß auf politischem und diplomatischem Weg erreicht werden. Während einer Feuerpause muß über den Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait geredet werden. Jetzt müßte man die Gunst der Stunde nützen, die Partner an den Verhandlungstisch bringen und den Versuch wagen, die Kriegslogik zu unterbrechen.

Wurden Ihrer Meinung nach vor dem Angriff der Amerikaner diplomatische Fehler begangen?

Man ist an die Lösung des Konflikts mit westlicher Mentalität herangegangen.Die Frage ist, ob es klug war, einem Araber ein Ultimatum zu setzen, so daß er das Gesicht verliert, wenn er darauf eingeht. Vermutlich wäre es klüger gewesen zu versuchen, dasselbe Ziel über Verhandlungen zu erreichen, die jeder Seite einen Rückzieher erlauben.

Geht es den Amerikanern eigentlich nur noch um die Räumung Kuwaits? Immer häufiger heißt es, der Irak müsse „zwangsabgerüstet“ werden, sein politisches System sei nicht friedensfähig.

Ich würde nicht sagen, daß das System nicht friedensfähig ist. Aber der da im Irak regiert, hat bisher alles, was er angekündigt hat, auch durchgeführt. Und die Gefahr besteht, daß er auch das letzte durchführt, daß er die Schmutzwaffen, die zum Teil bei uns mitentwickelt wurden, auch gegen Israel einsetzt.

Das ist doch gerade der Grund, warum die Israelis sagen: auf keinen Fall ein Waffenstillstand, sondern „zwangsabrüsten“.

Ich kann diese israelische Haltung sehr wohl nachvollziehen, nur: sie ist nicht meine. Das Zerschlagen des militärischen Potentials im Irak löst keines der Nahost-Probleme. Die nächste Bedrohung Israels kommt womöglich aus Syrien, nicht viel kleiner als der Irak. Der nächste ist der Iran. Mit dem Krieg kann man die politische Situation nicht befrieden und die Probleme der Region, bei denen religiöser Fundamentalismus eine Rolle spielt, nicht lösen.

Glauben Sie denn, dieser Krieg kann irgend etwas in der Region einer Lösung näher bringen?

Vielleicht löst er das Problem des Rückzugs aus Kuwait und vielleicht bringt er die Partner, die für eine Lösung notwendig sind, an den Verhandlungstisch. Für mich hat jedenfalls auch jetzt jeder Versuch, doch noch zu einer diplomatischen Lösung zu kommen, Vorrang vor allem anderen. Eine politische Lösung ist jeden, auch noch so aussichtslosen Versuch wert.

Wäre für Sie da auch eine Initiative einer Nichtregierungsorganisation, beispielsweise der Sozialistischen Internationalen, denkbar?

Die erste Organisation, die dafür in Frage kommt sind die Vereinten Nationen. Von denen hört man ja zur Zeit weniger als gut ist. Der Generalsekretär müßte eigentlich jede sich bietende Gelegenheit nutzen, erneut auf Friedfertigkeit zu drängen und Vermittlungsschritte anzubieten. Die zweite Adresse wäre die EG. Ich finde, die Europäer haben sich im Vorfeld dieses Krieges keine Lorbeeren verdient. Es hat keine organisierte Meinung gegeben, die das Gewicht Europas in Verhandlungen hätte einbringen können. Danach kämen dann auch Institutionen wie die „SI“ in Frage.

Die SI ist ja zur Zeit die letzte Instanz, in der ein Austausch zwischen Arabern und Israelis noch stattfindet — das nützt aber zur Zeit auch nicht viel, weil die einzelnen sozialistischen Parteien sehr unterschiedliche Haltungen zu diesem Konflikt vertreten. Es hat inzwischen mehrere Treffen der SI beziehungsweise des europäischen Teils der SI gegeben, und man muß einfach sagen, die deutschen Sozialdemokraten stehen da mit ihrem Verlangen nach Verhandlungen ziemlich allein da. Was die SI tun kann, ist, vielleicht im Anschluß an den Krieg Lösungen mit anzubieten, an deren Zustandekommen Israelis und Araber gemeinsam gearbeitet haben.

Was halten Sie von der Auffassung, dieser Krieg sei nichts anderes als die Ouvertüre des Weltkrieges zwischen Erster und Dritter Welt, ein Kampf, der uns die nächsten 20 bis 30 Jahre beschäftigen wird.

Wir haben durch die Auflösung des West-Ost-Antagonismus einfach eine neue Situation, durch die bisherige Kriegsverhinderungsmechanismen hinfällig geworden sind. Wenn jetzt ein Krieg zur Lösung regionaler Konflikte eingesetzt wird, könnte das im schlimmsten Fall eine vorwegnehmende, also präjudizierende Wirkung haben. Leider ist die UNO bislang noch nicht in der Lage, das Management für solche Konflikte zu übernehmen.

Krieg also wieder als Mittel zur Fortsetzung der Politik?

Das ist meine tiefere Befürchtung. Man gewöhnt sich ja bereits jetzt wieder an diese furchtbare Situation, auch durch die Art der Berichterstattung, die allabendlich wie eine Fortsetzungsgeschichte über den Bildschirm flimmert.

Sie haben gegen die Zensur der Berichterstattung protestiert — auch in bezug auf die aktuelle Kriegsberichterstattung?

Ich lehne Zensur grundsätzlich ab. Das ist eine Frage von Freiheit, ja oder nein. Wird sie auf diesem Felde instrumentalisiert, kann man morgen bei anderen Fragen auch nicht mehr nein sagen.

Wenn der Nato-Bündnisfall erklärt wird, müssen wir ja wohl auch hier mit Zensur rechnen?

Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen. Ich bin mir im übrigen nicht ganz sicher, wie die deutsche Öffentlichkeit reagieren würde.

Ist die SPD für die Einführung einer Berufsarmee?

Das halte ich für abwegig. Es hat einige vorlaute Stimmen dazu gegeben, ohne vorherige Abstimmung in der Partei. Persönlich bin ich ein entschiedener Gegner einer Berufsarmee. Ich bin dafür, daß man ganz nüchtern hinnimmt, wenn die Verweigererzahlen in Kriegszeiten hoch ansteigen — das ist Ausdruck der verfassungsmäßig garantierten Freiheiten, die man ohne entsetzliche Folgen nicht je nach Opportunität einschränken kann. Eine reine Berufsarmee, vor allem in Deutschland, würde immer zu einem Staat im Staate neigen, mit einer Eigendynamik, die man in anderen Staaten tendentiell ablesen kann. Diese Gefahr ist mir viel zu groß.

Es könnte aber sein, daß wir auf eine europäische Berufsarmee hinsteuern?

Dagegen sprächen zuletzt dieselben Bedenken. Das geht nicht gegen die Überlegungen, wie Europa seine Verteidigung eigenständig organisieren kann.

Jenseits der jeweiligen Nationalstaaten?

Ja, jenseits der Nationalstaaten, aber nicht notwendigerweise unter Ausschluß der außereuropäischen Partner. Wir werden in Europa früher oder später eine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik definieren.

Können Sie sich denn bereits in der jetzigen Konstellation eine Zustimmung der SPD zum Einsatz deutscher Soldaten in der Türkei vorstellen?

Nein, die Türkei hat sich als Plattform für die Kriegsführung zur Verfügung gestellt, ist von sich aus Kriegspartei geworden. Wenn jetzt der Irak die Türkei angreift, ist damit nicht der klassische Bündnis- oder Verteidigungsfall gegeben. Das Schlimme ist, daß wir auch davon abhängig sind, was Herr Özal in der Türkei macht. Von ihm darf nicht abhängen, ob wir da reingezogen werden oder nicht. Wenn dies der Fall wäre, mag ich mir gar nicht vorstellen, was dann hier losgeht. Das wäre das Schlimmste, was uns jetzt in Deutschland passieren könnte. Ich möchte auch nicht, daß die endlich friedlich gewordene Bundesrepublik, so wie die Alliierten sie immer haben wollten, nun für bestimmte machtpolitische Interessen des Herrn Özal mißbraucht wird. Die künftige Rolle deutscher Soldaten muß nach dem Krieg in Ruhe debattiert werden.

Trotz des Kriegs am Golf gibt es aber auch noch innenpolitische Probleme für einen zukünftigen SPD-Parteivorsitzenden. Sie wollen als Vorsitzender einer Arbeitsgruppe des Parteivorstandes Finanzvorschläge zum „wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern“ erarbeiten. Geraten Sie da nicht in Widerspruch zu Ihrer Aufgabe als Ministerpräsident, vor allem für Schleswig-Holstein etwas herauszuholen?

Es gibt da keine Interessenkollision. Wenn wir den neuen Bundesländern nur aus der vorhandenen Finanzmasse helfen wollen, dann müssen morgen das Saarland, dann Bremen, dann Schleswig-Holstein die Pforten schließen. Es hat keinen Sinn, daß wir unsere Landeskassen noch leerer machen.

Die Menschen im Osten sollten eigene Produkte kaufen

Also wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen, weil dies den Ländern zugute kommt?

Priorität hat eine Ergänzungsabgabe für Gutverdienende, wobei die Grenze unter 60.000 D-Mark im Jahr liegen muß. Auch die Mineralölsteuererhöhung ist nach wie vor richtig. Ein Teil des Geldes sollte für ökologische Maßnahmen im Osten verwendet werden. Wenn das alles nicht ausreicht, muß die Mehrwertsteuererhöhung sein. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit sollten allerdings Grundnahrungsmittel ausgenommen werden.

Für welche Bereiche wollen Sie in Ihrer Arbeitsgruppe Lösungsvorschläge machen?

Wir werden versuchen die Haushaltsdefizite und die Infrastrukturprobleme aufzulisten. Da werden wir feststellen, daß die fehlende Summe weit größer ist als das, was Bund und Länder gegenwärtig zahlen wollen.

Wie kann man verhindern, daß die Binnennachfrage in der ehemaligen DDR nicht weiter zusammenbricht?

Die Menschen im Osten sollten ihre eigenen Produkte kaufen und nicht die in Zellophan verpackte Westwurst. Vor allem aber muß die öffentliche Infrastruktur aufgebaut werden, vorher kommen die Investitionen nicht in Gang. Wer investiert denn, wenn das Telefon nicht funktioniert, wenn die Leute die Produkte nicht kaufen... Den marktwirtschaftlichen Urknall wird es nicht geben.

Ist angesichts der Bedürfnislage in den neuen Bundesländern — das einzige was boomt, sind neue Autos — ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft nicht utopischer als je zuvor?

Ich weiß da auch keine Patentlösung. Wir machen im Osten zur Zeit einen Akt der nachholenden Industrialisierung durch. Mit genau den Problemen, die wir im Westen zum Teil schon bewältigt haben. Man kann dies nur umpolen, wenn außergewöhnlich viel Geld zur Verfügung steht. Solange jede Mark im privaten Bereich und in den öffentlichen Haushalten viermal umgedreht werden muß, wird man sich nicht für Ökologie entscheiden. Deshalb muß der Staat umweltpolitische Maßnahmen finanzieren, zum Beispiel ein Programm zur Reinhaltung der Küsten initiieren. Das sind Investitionen, die Arbeitsplätze bringen und gleichzeitig der Ökologie nützen. Wir haben das in Schleswig-Holstein vorexerziert.

Wäre die Verlagerung der Bundesregierung nach Berlin nicht auch eine sinnvolle Investition, von der alle neuen Bundesländer profitieren könnten?

Ich habe eine Präferenz für Bonn, weil ich zuviel Zentralismus ablehne. Berlin ist künftig sowieso das große Zentrum für die Wirtschaft und die Kultur.

Lehnen Sie auch eine Aufgabenteilung zwischen Berlin und Bonn ab?

Ja, denn ich glaube nicht, daß das funktioniert. Entweder es bleibt alles in Bonn oder es geht alles nach Berlin. Auf keinen Fall kann der Bundestag hier und der Bundesrat dort angesiedelt sein. Die innere Verzahnung der Institutionen ist unabdingbar.

Gehen Sie davon aus, daß sich diese Sicht der Dinge durchsetzt? Am Ende wird doch alles in Berlin landen, da bin ich Realist genug, dies zu erkennen.

Herr Engholm, egal ob nun in Bonn oder Berlin, wer soll Ihre Geschäftsführerin oder Ihr Geschäftsführer in der Bundeshauptstadt werden?

Der Kreis derer, die in Frage kommen, ist klein.

Ist auch eine Frau dabei?

Es war eine dabei, aber gerade die Zahl der Frauen, die den entsprechenden Vorlauf für ein solches Amt haben, ist besonders klein. Das ist ein Stück unserer Kulturgeschichte. Die verantworte ich als Mann zwar mit, aber nicht alleine. Die Vierzig-Prozent-Quotierung erreichen wir im Präsidium nicht. Aus Schleswig- Holstein bin ich bessere Ergebnisse gewöhnt.

Ein Parteivorsitzender ist kein Befehlshaber

Sie bezeichnen es als Ihre Aufgabe, als Vorsitzender die Partei zusammenzuhalten? Wie wollen Sie das von Kiel aus hinkriegen?

Es erstaunt mich sehr, daß diese Art von Verkürzung von der taz kommt. Eine Millionenpartei kann doch nicht von einer Person zusammengehalten werden. Die SPD kommt nur dann wieder auf die Beine, wenn alle begreifen, es kommt auf sie an. Ich glaube, daß man tiefe Krisen braucht, tiefe Einschnitte in Wahlergebnisse, um zu erkennen, was nötig ist. Ich verstehe unter einem Parteivorsitzenden keinen zentralen Befehlshaber. Wir müssen eben föderative Strukturen auch in der SPD entwickeln. Bisher haben wir ja die Zentralisierung von Funktionen. Das geht oft auf Kosten einer regeren Basis.

Wie wollen Sie das ändern?

Zum Beispiel indem man ein Stück Streitkultur in die Partei zurückholt: Leute zu Veranstaltungen einlädt, die anderer Meinung sind. Oder indem man die Partei zur Kultur bringt: Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer könnte zum Beispiel bei ihrem nächsten Jahresempfang ein Konzert organisieren. Wir nehmen uns von der Kultur, die ja auch unsere ist, unseren Teil.

Sie hatten vor einigen Wochen angekündigt, Sie wollten die Organisation der Partei von einer Unternehmensberatungsfirma untersuchen lassen. Was ist daraus geworden?

Ich denke nicht in erster Linie an eine Firma. Ich brauche für die Parteireform jemanden, der von außen kommt. Das können zum Beispiel Altsozialdemokraten sein, die Erfahrung, aber keine persönlichen Interessen haben.

Hat die SPD genügend kluge Köpfe, um Zukunftskonzepte auszuarbeiten?

Vom intellektuellen Fundus her ist unsere Zentrale nicht zu unterschätzen. Die CDU hat den Vorteil, daß sie Ideen von außerhalb besser nutzt. Das müssen wir stärker betreiben. Wir brauchen den Diskurs über Gruppengrenzen hinweg, mit Leuten aus der Wissenschaft, der Kultur, aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften. In Schleswig-Holstein haben wir einen „think-tank“ geschaffen: vier Leute, die den Diskurs organisieren und mit Phantasie Themen der Zukunft formulieren. Das könnte ich mir auch für die Bundes- und die anderen Landesparteien vorstellen.

Wer soll das machen?

Ich habe schon mal Namen genannt. Die einen sind sauer, wenn ich sage: Ich muß mal mit Karl Schiller reden, die anderen, weil ich Oskar Negt erwähnt habe. Ich habe jetzt mit Hans Jonas und Hans Küng einen Kongreß in Kiel gemacht. Acht Stunden Philosophie und Vision am Stück, und der Saal war rappeldicke voll.

Haben Sie eigentlich selbst eine Vision oder verstehen Sie sich eher als Moderator, der den Prozeß der Visionsfindung organisiert?

Ich habe immer noch dieselbe begrenzte Utopie wie in den sechziger Jahren. Die großen Werte und Fragen sind zum Teil dieselben geblieben: Wie entwickelt man Demokratie weiter, organisiert beispielsweise mehr Bürgerbeteiligung? Die Frage des Zugangs zur Kultur. Die Frage des Sozialsystems und der sozialen Strukuren weltweit. Die Frage der Menschenrechte und einer friedfertigen Weltordnung. Nicht zuletzt die Frage des ökologischen Umbaus. Interview: Tina Stadlmayer/

Jürgen Gottschlich