Kein Gesicht zu verlieren

■ Von männlicher Rationalität und weiblicher Unvernunft zu Kriegszeiten DEBATTE

Frauen sind die unsichtbaren Opfer des Männerkrieges, wenn nicht tot, erschlagen von einem herabstürzenden Gebäudeteil, dann obdachlos, ausgebombt, alleingelassen mit der Sorge um die Kinder und Alten; schwanger vielleicht; verantwortlich für die Organisation des Alltags, Lebensmittel, Milch, Wasser und Medikamente besorgen, das eigene Entsetzen unterdrücken, um den Kindern im allgemeinen Chaos einen letzten Rest an Geborgenheit zu geben.

Nicht zufällig engagierten sich so viele Mädchen und Frauen in der Friedensbewegung, nicht zufällig sind es Frauen und junge Leute, die noch genügend Phantasie und emotionale Offenheit aufbringen, sich jenseits strategischer Überlegungen das Leben in den Kriegsgebieten vorzustellen, vorstellen zu wollen. Je mehr wird die Friedensbewegung symbolisch in die Rolle der Frau gedrängt. Männliche Rationalität und Entschlossenheit gegen weibliche Unvernunft und Emotionalität, die Zuschreibung von Weiblichkeit ein Ausdruck tiefster Verachtung. Angst, ein durchaus vernünftiger Schutzmechanismus der Menschen, ein Zeichen erbärmlicher Schwäche. Die Parteinahme für das „Volk“, das an des Führers Statt „enthauptet“ wird, als friedselige Parteilosigkeit diffamiert.

Frauen werden aktiv, wenn starre Strukturen in Bewegung geraten. Im — auch gewaltsamen — Widerstand gegen die Herrschenden waren und sind Frauen stets beteiligt, mutiger und tollkühner oft als Männer, beteiligt mit ihrer ganzen Person. Das Durchbrechen hierarchischer Strukturen birgt für Frauen die zusätzliche Hoffnung auf Teilhabe zu ihren eigenen Bedingungen. Die Revolutionen der Welt haben es gezeigt: Kaum hat sich die Macht der neuen Herrscher verfestigt, schließen sich die Reihen, das Weiche und Offene wird hart, die Frauen treten zurück ins „zweite Glied“. Ihre Mittäterschaft bei der Entlastung der Männer von der Bürde der Gefühle in der häuslichen Geschlechterhierarchie reproduziert und ermöglicht die hierarchische Ordnung im Großen. Besonders in Kriegszeiten.

Das Militär ist die Speerspitze hierarchischer Ordnungen. Seit dem gleich einem Naturereignis „ausgebrochenen“ Krieges können wir beobachten, wie sich die Denkstrukturen mit rasanter Geschwindigkeit militarisieren. Frontdenken ist angesagt, eindeutige Bekenntnisse„ für“ oder„gegen“ werden eingefordert, „Flagge“ sollen wir zeigen, bis hin zur Ergebenheitserklärung an unsere abendländische Kultur, die — im Gegensatz zum zivilisatorisch unterentwickelten Araber — mit den High-Tech-Waffen „verantwortungsvoll“ umzugehen weiß. Denn die amerikanischen Bomben sind Bomben der Freiheit, zu deren Erringung uns Präsident Bush „harte Arbeit“ verordnet. Wollen wir die „neue Weltordnung“, die unter der „unabdingbaren“ Führung Amerikas aus den Verheerungen erstehen wird, müssen wir die Zähne zusammenbeißen. Andernfalls droht uns Saddam Hussein. Wir haben die Wahl.

Die CNN-Bilder fordern auf, sich mit den Piloten zu identifizieren, mit den Helden des Himmels und ihren Joysticks, die mit ihrem Feuerschweif in der Finsternis die gesichtslose „Mutter der Erde“ aufs Kreuz legen. Wir dürfen den „Bombenteppich“ nicht von unten aus der Flohperspektive sehen. Die Gegenbilder zum Videofaszinosum könnten uns an unsere eigene Körperlichkeit erinnern. Gerade daran aber dürfen wir nicht denken. Es ist die Stunde der Abstraktion, des „übergeordneten Ganzen“, des pars pro toto, die „Entwaffung“ Saddam Husseins durch Plattmachen seines Landes samt dazugehörigem Volk. Über den Aufbau danach darf nachgedacht werden. 90 Milliarden Mark werden für Kuwait allein veanschlagt. Das Unkraut Mensch wächst von alleine nach.

Das Denken an die Nachkriegszeit mildert den Schrecken über die Gegenwart, nichts als eine vorübergehende Feuersbrunst aus der die Welt gereinigt hervorgehen wird. Daß die neue und nun wirklich gültige friedliche Weltordnung aus Gewalt und Vernichtung geboren werden soll, stört gerade jene nicht, die uns ein gnadenloses Ursache-Wirkung- Denken auferlegen. War es der 2. August oder der 16. Januar, der Sündenfall, von dem das Schicksal seinen Lauf nahm? Wer „A“ sagt, muß auch „B“ sagen, mit unausweichlicher Konsequenz. „Wenn Sie einen Hammer haben, suchen sie einen Nagel“, empfiehlt Bush in seinem „Bericht zur Lage der Nation“. Ein Drittes, die Suche nach Alternativen, den Zwischenton, ein Davor, Danach und Daneben gib es nicht. Die Frankfurter Rundschau vom 8. Februar zitiert einen Exil-Kuwaiter, der bei mehreren Einsätzen 225-Kilo-Bomben auf Ziele in seinem Heimatland abwarf. Er tat es, obwohl er darüber nicht glücklich war, aber „selbst wenn man uns zumuten würde, etwas Schlimmeres zu tun, dann würden wir es tun, um unser Land zurückzubekommen ... auch wenn dort nichts mehr steht“.

Neben „Blut für Öl“ geht es um Gesichter, Männergesichter, um die Ehre von George Bush und Saddam Hussein und aller, die sich mit ihren patriotischen Raketen identifizieren. Nachgeben ist feige. Und feige ist der Feind, der weibliche, der nach der ersten Bombennacht nicht gleich zurückschlug, der mit der verschlagenen Waffe des Giftgases droht, der es verdient hat, mit einer Rakete im Arsch davon gejagt zu werden. Feige sind auch die Deutschen, die ihr Blut nicht für die „gute Sache“ zu vergießen bereit sind.

Der vorläufige Sieg der männlichen Monokultur hat, wie die Genfer Frauenfriedenskonferenz jüngst bewiesen hat, auch nicht jene Frauen verschont, die nach friedlichen Auswegen suchen. Die unterschiedlichen Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen dieser Welt lassen wohl nur eine Annäherung der Standpunkte zu. Doch die Frauen haben einen Vorzug: Sie haben kein Gesicht zu verlieren. Erica Fischer

Die Autorin ist Mitbegründerin der österreichischen Frauenbewegung.