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Die Nachdenklichen sind wieder unter sich

Anti-Kriegs-Proteste haben auch den Alltag in der ostwestfälischen Kleinstadt Enger durcheinandergebracht/ Mahnwachen, Aktionen der Kirche und des Jugendzentrums/ Was ist vier Wochen nach Kriegsbeginn noch davon übrig?  ■ Aus Enger Bettina Markmeyer

„Saddam ist der Tollste. Und Krieg ist geil!“ Der Junge in Jeans und weißem Rollkragenpulli zündet sich eine Zigarette an und stützt sich lässig auf das Holzgeländer, das eine Sitzgruppe vom Thekenbereich trennt. „Stimmt doch, oder?“, fordert er seinen Kumpel auf. Worauf dieser das gleiche Grinsen auflegt wie sein Wortführer und sich als Echo betätigt: „Klar, Saddam ist toll, und Krieg ist geil.“ „Und die deutschen Waffen sind nicht die schlechtesten“, spinnt der erste Junge den Faden weiter. „Ich bin ein Iraker.“ Die goldenen Ringe in seinen Ohren funkeln im Kontrast zum schwarzen Haarschopf.

Ihre Landsleute, die um den Tisch zusammensitzen, zu provozieren, gelingt den beiden nicht. Ramazan hat gerade gesagt, er würde Asyl beantragen, wenn er einen Einberufungsbefehl aus der Türkei bekäme. „Ein Krieg Moslems gegen Moslems ist sinnlos. Aber dieser Özal tut alles, um ein Freund der USA zu sein. Ich würde nicht in den Krieg ziehen, um dieses Regime zu verteidigen.“ Zwei andere Jungen pflichten ihm bei. Von einer Beteiligung der Türkei am Golfkrieg halten sie alle nichts, vom Krieg auch nicht.

Einig sind sie sich aber auch, daß die Proteste, die selbst das kleine, ostwestfälische Städtchen Enger für kurze Zeit aufgeschreckt haben, „nichts bringen“. „Als einzelner Jugendlicher“, zumal in Deutschland, weit weg vom Golf, „ist es völlig sinnlos zu protestieren“. Trotzdem, meint Ramazan, habe er gelegentlich mitdemonstriert. Warum? „Sonst könnte ich ja gleich in den Krieg ziehen.“ Der Junge im weißen Rolli, der seinen Namen „nicht in der Zeitung haben will“, tönt: „Ich hab schon Post aus dem Irak, in einer Woche geht es los. Ich will kämpfen.“ Klar meine er das alles ernst, was wohl sonst: „Ich bin ein Fan von Saddam!“

Was dieser Junge wirklich denke, wisse niemand so genau, sagt Nicole, die in Enger zum Widukind-Gymnasium geht und zu den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des evangelischen Jugendzentrums an der Ringstraße gehört. Vielleicht sei das seine Art, den Krieg zu verarbeiten. Vielleicht finde er Hussein aber auch wirklich gut. „Mit dem zu reden, ist ziemlich sinnlos“, meint sie. Klar ist jedoch, daß dem Türken — wie vielen anderen Jugendlichen auch — das Thema Golfkrieg inzwischen auf die Nerven geht. Das war noch vor kurzem, besonders in den Tagen zum Kriegsbeginn ganz anders. „Wir waren fast immer hier“, erinnert sich Nicole. Sie fand das gut, „nur manchmal wurde es mir zuviel“. Das evangelische Jugendzentrum war schnell zu einem Zentrum der kleinstädtischen Anti-Kriegs-Aktivitäten geworden.

„Ein Konzept hatten wir nicht“, erzählt Bernd Rammler, der als Jugenddiakon seit fünf Jahren im Zentrum arbeitet. „Aber es konnte hier auch nicht alles so weiterlaufen, als wäre nichts gewesen.“ So blieben Jugendliche die Stunden vor dem Ablauf des Ultimatums gemeinsam wach, hängten Transparente ans Haus, auf denen sie „Warum, Mister Bush?“ fragten und „die Kriegshandlungen am Golf“ verurteilten. Tagelang stand ein Fernseher auf der Theke, und, so Rammler, „wir hatten damit zu tun, Ängste und Ohnmachtsgefühle abzufangen“. Die Freitagsdisco wurde abgesagt, was der schüchterne Stefan in seiner Funktion als Discjockey „gar nicht gut“ und andere Jugendliche „total scheiße“ fanden. Andererseits war Stefan aber immer dabei, wenn in der „Friedenswerkstatt“ im Discoraum Plakate gemalt, Anstecker und Kreuze fabriziert wurden.

In Enger, das im östlichen Westfalen im Kreis Herford liegt und mit glattrenovierten Fachwerkhäusern und den Gebeinen des Sachsenherzogs Widukind um TouristInnen wirbt, entspringen Politik und Proteste nur wenigen Quellen. Gegen den Golfkrieg gingen zuerst Hunderte von SchülerInnen auf die verkehrsberuhigten Straßen des 18.000-Einwohner-Städtchens. Menschen aus der evangelischen Kirchengemeinde an der Stiftskirche, die ihre Existenz, so geht die Sage, ihrem Sieg im Wettstreit um Widukinds letzte Ruhestätte verdankt, sorgten für Friedensgebete. Anfangs war „die Kirche so voll wie sonst nur Weihnachten“, erinnert sich Eckhardt Koch, einer der politisch rührigen PfarrerInnen in Enger. Und die Jugendlichen aus dem Zentrum an der Ringstraße strebten allabendlich zur Mahnwache bei Kerzen und weißen Holzkreuzen.

Es dauerte eine Woche, in der selbst der Lokalredakteur des konservativen 'Engerschen Anzeigers‘ — ein ewiger Kläffer gegen alles Kritische und Unordentliche im Kleinstadtleben — nicht umhin konnte, den jungen DemonstrantInnen „Besorgnis“ zu attestieren. Die liberale Zeitung am Ort begeisterte sich für die „demokratische Meinungsäußerung“ der PennälerInnen und ließ BürgerInnen zu Wort kommen. Doch dann rastete der politische Normalbetrieb wieder ein. Die SPD ließ eine Erklärung der Bundespartei abdrucken, in der sich die Sozis gegen den „Anti-Amerikanismus“- Vorwurf verwahrten. Im evangelischen Jugendzentrum wollten diverse AnruferInnen wissen, wieso auf dem Transparent an der Fassade nur „Mister Bush“ nach dem „Warum“ des Krieges gefragt werde, woraufhin die Jugendlichen einen „Hussein“ dazumalten.

Die schweigende Engeraner Mehrheit schließlich fand ein Ventil in LeserbriefschreiberInnen, die die „Friedensdemonstrationen durchsetzt“ sahen „von Randalisten und Chaoten“ und mitmarschierende LehrerInnen der „mentalen Vergewaltigung“ ihrer SchülerInnen bezichtigten. Ein Germanistikprofessor, an der nahegelegenen Bielefelder Universität in Lohn und Brot, entlarvte „den Gefühlskult“ der ProtestlerInnen als „abstoßend, lächerlich und makaber“ und dienlich „vor allem der psychischen Entladung der Demonstranten selbst“. Und Jugenddiakon Rammler mußte an der Kasse des Topkauf-Supermarktes einen Fünfzigmarkschein mit dem Aufdruck „Kein Geld für Rüstung“, den er eine Woche zuvor dort ausgegeben hatte, gegen einen sauberen eintauschen. In Enger, da macht die Topkauf-Kassiererin keine Ausnahme, kennt man seine Pappenheimer.

Die nicht abgenommenen rot- weißen Plakate mit der fetten Aufforderung „Sagt Nein“, die noch vor Kriegsbeginn zur Demo in die Kreisstadt Herford gerufen hatten, und die weißen Holzkreuze auf dem Barmeierplatz unterhalb der Stiftskirche sind nun in Engers Stadtbild die letzten Zeugen der spontanen Anti- Kriegs-Aktivitäten. Zur Mahnwache „geht Bernd inzwischen alleine“, bemerkt Nicole. Sie findet es „bewundernswert“, mag sich aber nicht mehr anschließen.

Die Nachdenklichen sind wieder unter sich in Enger. In der Friedensgruppe im Kirchgemeindehaus, die „sich“, so Pfarrerin Petra Schmuck, „gegründet hatte, um über Wege zum Frieden und Politik zu streiten“. Im Jugendzentrum, wo die „Friedenswerkstatt“ natürlich längst wieder der Disco Platz gemacht hat. Und jeden Abend bei den weißen Holzkreuzen. Die Geschäfte machen gerade zu, die meisten Engeraner sitzen beim Abendbrot, wenn die Leute mit den Kerzen kommen. Ein Mann geht die Treppe zum Barmeierplatz herunter, zwei Frauen streben der Tiefgarage zu. Zu Gesprächen kommt es nicht. Ein paar Autos rollen gedämpft durch den Schnee. Man hört nur Autotüren klappen, herunterrasselnde Rolläden und die leisen Stimmen von der Mahnwache. Heute abend sind es fünf Erwachsene und ein Mädchen. „Und es würde schon reichen, wenn es bloß noch einer wäre“, sagt denn doch eine Engeranerin. „Ich find's gut, daß es weitergeht.“

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