Gegen die weiße Konspiration am Golf

■ Für die Black Muslims ist Schamir „der neue Hitler“

Chicago (taz) — Das Art Deco-Gebäude an der Ecke von South Emerald Avenue und West 79th Street hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Der Posaunentrichter auf dem Reklameschild bläst für die schwarzen Moslems Amerikas zum „Letzten Ruf“. Die gleichnamige Postille der „Nation of Islam“ wird in den oberen Etagen des Eckhauses produziert.

Im Parterre gibt es die Worte von Minister Louis Farrakhan, dem Nachfolger von Elijah Muhammad und Malcolm X, in Schrift, Ton und Bild zu kaufen. Einige Interessierte suchen dort in den Regalen nach Anleitungen zum Erwerb schwarzen Selbstbewußtseins, so wie es der Ideologie-Konzern von Minister Farrakhan vertreibt. Wie Schwarze in Amerika Geld machen können, so ein Buchtitel. Eine Frau fragt nach dem Videotape von Farrakhans Rede in South Carolina. Den weißen Besucher treffen skeptische Blicke, wie sie sonst nur Schwarze von Weißen gewöhnt sein mögen.

Abdul Wali Muhammad, der Chefredakteur des 'Final Call‘ war am Telefon kurz angebunden gewesen. Nach seiner Rückkehr von einer Konferenz moslemischer Führer in Bagdad, habe Minister Farrakhan am 14. Januar in Washington eine Pressekonferenz abgehalten. „Wenn sie sich doch so für unsere Haltung zum Golfkrieg interessieren, wo waren sie denn damals?“ Der Führer der „Nation of Islam“ in den USA hat also zum Golfkrieg gesprochen, und keiner der schwarzen Moslems in dem Buchladen oder ganz Chicago hat etwas hinzuzufügen.

Die Mitgliederzahl der streng hierarchisch organisierten Sekte wird heute auf rund 10.000 geschätzt. Doch auf seinen Vortragsreisen in Detroit, Washington oder Atlanta bringt der begeisternde Redner Farrakhan, ein von Malcolm X rekrutierter Schauspieler und Calypsosänger, mühelos 20.000 Zuhörer in die Hallen. Trotz einer recht abgehobenen Programmatik, die Reparationen für die Leiden der Sklaverei, eine strikte Rassentrennung, sowie einen schwarzen moslemischen Staat auf US-Territorium fordert, kann Farrakhan unter den Afroamerikanern auf einen erstaunlichen Sympathisantenkreis zählen.

Mit seinen antisemitischen Ausfällen von jüdischen Sklavenschiffen bis zur jüdischen Kontrolle der US-Medien appelliert er an die oft tiefsitzenden Ressentiments unter Amerikas Schwarzen: den nicht unverständlichen Neid auf die gesellschaftliche Anerkennung des jüdischen Holocausts, während ihr Holocaust, der Mord an 6 Millionen Sklaven, in der Sicht vieler Schwarzer heute nur von einem geplanten Drogen-Genozid in den Ghettos der amerikanischen Innenstädte abgelöst worden ist.

So auch in der Position des 'Final Call‘ zum Golfkrieg. „Israel steht hinter der Bombardierung des Irak“, so die Überschrift einer Kolumne, derzufolge die amerikanischen GI's am Golf im Auftrage Israels nur die Realisierung „des zionistischen Traums von Groß-Israel“ verfolgen. „Schamir, der nichts aus seiner jüdischen Erfahrung gelernt hat und nun naziähnliche Verbrechen an den Palästinensern verüben läßt“, so versteigt sich der Kommentator zu einem eigenwilligen Vergleich, „ist der neue Hitler“.

Da entspricht Farrakhans Kritik an Bush schon eher dem schwarzen Mainstream. „Senden Sie ihren Sohn in den Krieg, Mr. Bush“, forderte der Führer der Schwarzen Moslems schon im Dezember. Das vorherrschende Argumentationsmodell ist die Konspirationstheorie: „Die Regierung der USA hat die Arbeitslosigkeit geplant, damit die Schwarzen nur in der Armee werden können, was ihnen in der Gesellschaft versagt bleibt; so daß sie (die Regierung, R. P.) die schwarzen Körper dann in Grenada, Panama oder wo immer die amerikanische Außenpolitik gerade schwarze Soldaten braucht, einsetzen kann.“ Mit dieser Interpretation ist Farrakhan nicht nur auf der Southside von Chicago populär.

„Wissen Sie, warum so viele Schwarze Farrakhan bewundern?“ fragt ein langjähriger Beobachter des moslemischen Führers: „Nicht weil sie ihn mögen, sondern weil er die Weißen mit seinen oft kühnen Behauptungen vor den Kopf stößt.“ Rolf Paasch