FEBRUAR / MÄRZ 1991
: „...und nimmer an sich selber denkt“

■ Liebe Mutter - Böse Mutter / Über angstmachende Mutterbilder / Eine Ausstellung im Staatsarchiv

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das Doppelfoto

Mutter mit Kind

Aus der Ausstellung: Die Spaltung der MutterfigurFoto: T.Vankann

Goethe hatte auch eine Mutter, vor allem aber hatte er einen Vater, der sich um die Erziehung und Bildung des Knaben kümmerte. Bis zur Mitte es 18.Jahrhunderts war Kindererziehung ausschließlich Vätersache. Als mit Beginn der Industrialisierung der Mann

hinaus mußte ins feindliche Leben und drinnen die züchtige Hausfrau waltete, begann die Festlegung der Frau auf die Mutterrolle.

Die Folgen der Isolation von Mutter und Kind im trauten Heim sind Gegenstand einer Ausstellung mit dem Titel „Liebe Mutter — böse Mutter, Angstmachende Bilder von der Mutter in Kinder- und Jugenbüchern“, die vom 19. Februar bis zum 15. März im Bremer Staatsarchiv zu sehen ist. Keine idyllische Märchenbuchschau für Kinder, sondern eine mit viel Pschologie unterfütterte Darstellung symbolisch verschlüsselter Mutterbilder vom 18. Jahrhundert bis heute.

„Die selbstlos Gut und Leben schenkt, und nimmer an sich selber denkt“ — das ist natürlich die Mutter. Aber sie ist auch die Hexe und der alles verschlingende Wolf. Kinderbücher sind für den Oldenburger Hochschullehrer Gottfried Mergner, der die Ausstellung konzipierte, „geschichtliche Dokumente über die Beziehung von Erwachsenen zu Kindern.“ AutorInnen „schreiben und malen in gesellschaftichen Codes“, geben also gewollt oder ungewollt Auskunft über gängige Mütterbilder ihrer Epoche.

Mergner hat gemeinsam mit StudentInnen über 2 000 Bücher gesichtet und ist auf immer gleiche „Codes“ für die Ambivalenz zwischen Mutterliebe und Mutterhaß gestoßen. Die daraus entstehenden Ängste und Frustrationen dürfen nicht offen artikuliert werden. Das würde das Tabu „Mutter liebt Kind — Kind liebt Mutter“ verletzen. Deshalb greift die Kinderliteratur laut Mergner zur Aufspaltung in die gute Mutter (in ihrer höchsten Idealisierung die tote Mutter wie bei Hänsel und Gretel) und die böse Mutter (Hexe, Stiefmutter, Drachen).

Mergner will mit der Ausstellung zeigen, daß „Symbole und Ängste unseres Erwachsenendaseins in der Kindheit wurzeln.“ Das Problem seien nicht die Mütter, „sondern unsere Beziehung zu ihnen.“ Ein Ziel der Ausstellung soll denn laut Mergner auch sein, „die Mütter zu entlasten, die Erwartungen aufzuzeigen, die an sie gestellt werden, aber auch deren Unerfüllbarkeit.“

In der heutigen Kinderliteratur werden zwiespältige Gefühle zugelassen, stellten die ForscherInnen fest, allerdings fast ausschließlich für die Kinder. Denen wird ein Recht auf Wut und Frust zugestanden. „Das viel heißere Eisen vom Recht der Mutter auf Ambivalenzen faßt die Kinderliteratur nur vorsichtig und ihr Anliegen mehr oder weniger stark überzuckernd an“, heißt es im sehr empfehlenswerten Ausstellungskatalog. Die Botschaft des europäischen Kinder- und Jugendbuches sei bis heute — trotz Frauenbewegung — : „Mütter müssen für ihre Kinder immer da sein, Tag und Nacht für sie sorgen, sie allzeit lieben — und sind doch an allem Unglück der Welt Schuld.“ asp