»Das Ethos der Friedensbewegung ist nicht zensierbar«

■ Der Chefredakteur des DFF, Alfred Roesler-Kleint, zur Zensur in Kriegszeiten und zur Zukunft des DFF innerhalb der neuen Mehrländeranstalten

Alfred Roesler-Kleint, Jahrgang 1949, ist seit dem Juli vergangenen Jahres Chefredakteur für Politik und Zeitgeschehen beim DFF. Er wird heute am taz-Forum »ZENSUR: Der Golfkrieg und die Medien« (20 Uhr, »Wabe«, Dimitroffstraße 101) teilnehmen. Roesler-Kleint studierte Ästhetik und war von 1975 bis 1980 beim »Kulturmagazin« des DDR- Fernsehens beschäftigt. Dann wurde ihm mit Krach gekündigt, schrieb unter Pseudonym Artikel und verfaßte Kinderbücher, Hör- und Fernsehspiele sowie Rocktexte.

taz: Neben der Militärzensur, mit der wir seit Ausbruch des Golfkrieges verstärkt konfrontiert sind, gibt es die Zensur, die die Sender selber anordnen. Welche Richtlinien gibt es beim DFF?

Roesler-Kleint: Wir tragen hier ein besonderes Stück Geschichte mit uns herum. Verbote und Richtlinien mit denen man lebte, denen man sich beugte oder denen man sich entzog. Ich bin da etwas allergisch und gebe den Redakteuren den größtmöglichen Raum. Wir verständigen uns im Gespräch, machen das nicht per Weisung. Gerade aus der Friedensbewegung ist ein Stück des Widerstandes gewachsen, der hier zu Veränderungen geführt hat. Wir halten die Überlegungen und das Ethos der Friedensbewegung durchaus für bedenkenswert und nicht für zensierbar.

Und Satire?

Man muß Leuten, die eine Meinung haben, Intellektuellen, Kabarettisten, auch die Möglichkeit geben, diese zu verbreiten. Ich glaube kaum, daß der Golfkrieg durch dreieinhalb Minuten Kabarett torpediert wird. Die Verstrickung Deutschlands in den Krieg kann man nicht dadurch verdecken, daß man in die kleinen Wunden kein Salz läßt. Man muß auch mal zusammenzucken können.

Die staatlichen und privaten Fernsehsender in Frankreich hatten am Montag erklärt, die vorproduzierten Frontberichte der Militärs zu boykottieren. Jetzt läuft das Faß über — obwohl wochenlang freiwillig in militärkonformer und weitgehend unkritischer Weise berichtet wurde. Was sagen Sie dazu?

Wir bewegen uns zwischen Informationspflicht und einem verantwortlichen Umgang mit den zensierten Nachrichten. Die Aufnahmen, die wie Videospiele präsentiert werden, haben wir nicht zelebriert. Der Bildschirm kann aber nicht schwarz bleiben. Es ist ein großes Dilemma. Da sind auf der einen Seite die Bilder der Militärs aus den Info-Pools und andererseits Bilder aus dem Irak, die uns zugespielt werden. Wir haben vor zehn Tagen Selbstzensur geübt, haben Bilder von verbrannten Kinderleichen nicht gesendet — wir wußten nicht, zu welcher Zeit, wo und unter welchen Umständen die Bilder aufgenommen waren.

Anderes Thema. In den Koalitionsvereinbarungen von Schwarz- Rot steht unter Medien: »Die Übernahme von qualifiziertem technischen Personal aus den Rundfunkanstalten der früheren DDR wird angestrebt. Die Übernahme redaktioneller Mitarbeiter soll im Einzelfall ermöglicht werden.« Die Mediengewerkschaft warnt davor, daß die Mehrländeranstalt in Sachsen nur Journalisten aus den alten Bundesländern anstellen wolle.

Ich kann gewisse Bauchschmerzen aufgrund der Geschichte des DDR-Fernsehens verstehen. Es gibt Vorbehalte, ganze Teams zu übernehmen — da soll noch mal einzeln durchgesiebt werden. Aber bestimmte Leistungen sind eben daraus erwachsen, daß sich die Journalisten im Team verständigt haben — Veränderungen zusammen ausgefochten haben. Es gibt ja nicht nur die 40 Jahre, sondern auch anderthalb Jahre danach.

Wie viele mußten aus ideologischen Gründen gehen?

Im journalistischen Bereich sind das eine ganze Menge. Vor allen Dingen von der ehemaligen Aktuellen Kamera, da sind 30, 40 Leute weg. Beim Umweltmagazin sind es weniger, da war's nur einer und zwar der Chef. Quer durchs Haus bin ich nicht in der Lage, zu sagen, wie viele Journalisten entlassen worden sind. Aber es werden ja noch weitere entlassen. Leitungsleute aus SED und FDJ sollten bestimmt nicht mit Vorrang gehalten werden.

Es war zunächst die Rede von 1.200 Entlassungen beim DFF, dann kam der Medienbeauftragte Mühlfenzl noch mal mit weiteren 1.500. Wie viele Leute sind insgesamt bisher entlassen worden?

Es sind 1.200 seit letztem September, aber auch in der Zeit vorher sind Leute entlassen worden, so daß die Zahl weit höher ist. Als die erste Entlassungswelle lief, haben wir Berechnungen angestellt, was denn bei einer entsprechenden Tarifanhebung die Anstalt verkraften kann. Da ergaben sich 2.500 FernsehmitarbeiterInnen — wenn die Auftragslage in den Studios es erlaubt, könnten am Ende bis zu 2.000 Leute übrigbleiben. Dazu kommt technisches Personal — aber das sind vage Zahlen.

Welche Rolle wird Adlershof in einer Mehrländeranstalt spielen?

Wir gehen von zwei Mehrländeranstalten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aus, es muß also Mitarbeiterwanderungen geben. Die entsprechenden Infrastrukturen aufzubauen, wird sicherlich nicht in diesem Jahr zu schaffen sein. Adlershof wird in jedem Falle als Produktionsstätte für die Mehrländeranstalt im Süden eine Rolle spielen, da ist bislang wenig vorhanden. Auch die Kapazitäten des SFB reichen keinesfalls für Brandenburg, Mecklenburg und Berlin aus.

Wie steht es um Privatisierungen?

Möglicherweise werden auch die Privaten Adlershof nutzen. Es gibt Überlegungen, das Synchronstudio zu privatisieren. Aber hier muß immer überlegt werden, ob die Bereiche sich danach selbst tragen können und ob die Dienstleistungen, die sie uns dann anbieten, billiger sind. Auch an das Trickfilmstudio ist gedacht, aber das produziert relativ teuer — das Sandmännchen ist privatwirtschaftlich nicht zu halten. Es gibt aber einige Möglichkeiten der Privatisierung — von der Versorgung mit warmem Essen bis zur KFZ-Reparatur.

Macht es Sie nicht neidisch, wenn RIAS und Deutschlandfunk — beide heute ohne Sendeauftrag — ihre Claims abstecken?

Wir hielten es nicht für sehr opportun, groß die Glocke zu läuten: Rettet uns, haltet uns. Wir haben versucht, sachlich zu bleiben, auch wenn die Zuschauerbriefe in Wellen bei uns hereinwogten. Vielleicht ist das auch ein Fehler, wir haben eben alle nicht PR-Management und Selbstdarstellung gelernt. Ich könnte ja auch jede Woche dreimal mit einem Kommentar auf dem Bildschirm sein — aber das ist nicht meine Ambition.

Welche Sendungen werden überleben?

Elf 99 sollte eine Chance haben, wie alle Programme mit großer Zuschauerakzeptanz. Vielleicht bleibt es nicht als Jugendprogramm an so prominenter Stelle, auch wenn wir diesen Sendeplatz für vorbildlich halten. Eine Chance gebe ich erstmal allen: Klartext, Prisma, Donnerstagsgespräch.

Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft?

Ich mache mir keine Gedanken, ob irgendwo schon ein Sesselchen steht — ich komme hier sowieso kaum zum Sitzen.

Interview: Hans-Hermann Kotte