Geld- und Liebesspiele

Stephen Frears „The Grifters“ im Panorama  ■ von Ute Thon

Vor zwei Jahren lief Stephen Frears Gefährliche Liebschaften als Eröffnungsfilm im Berlinale-Wettbewerb. Es war die erste amerikanische Produktion des britischen Regisseurs und zugleich ein kompletter Genrewechsel. Mit Filmen wie Mein wunderbarer Waschsalon, Prick up your Ears oder Sammy & Rosie tun es hatte er mit unverkennbar britischem Humor Sozialkritik geübt. Seine Helden — schwule Araber, romantische Punks, frustrierte Yuppiefrauen — bewegten sich im schmuddeligen Milieu, waren randständige Existenzen, die doch irgendwie vom bürgerlichen Leben träumten. Mit seiner Verfilmung Romans von Choderlos de Laclos, „Liaisons Dangereus“, hatte er den Sprung ins große Ausstattungskino gewagt und sogleich für ein opulentes Berlinale- Opening gesorgt. Glenn Close, John Malkovich und Michelle Pfeiffer spielten das erotische Intrigenspiel mit solch kühler Eleganz, daß man dem Regisseur den Wechsel nach Hollywood gern verzieh. Obwohl überwiegend mit amerikanischen Schauspielern besetzt, blieb Frears Film doch eine typisch europäische Produktion, hintergründig, „sophisticated“, und er bewies damit, daß ein guter Regisseur beim Sprung über den großen Teich nicht automatisch im flachen Wasser landen muß.

Natürlich wurde Stephen Frears nächstes Projekt nach dem Erfolg seiner Liebschaften mit Spannung erwartet. Und es war klar, daß es an dem Meisterwerk gemessen würde. Sogesehen tat Frears gut daran, das Genre, die Drehorte und auch die Schauspieler erneut zu wechseln. Mit seinem neuesten Film The Grifters ist er wieder in die Gegenwart zurückgekehrt — allerdings nicht zu den entrechteten Sozialromatikern seiner frühen Filme, sondern ins halbseidene Spielermilieu.

Schauplatz der Geschichte um Geld- und Liebesspiele ist diesmal Los Angeles. Die drei Hauptfiguren verbindet neben familären und amourösen Banden auch eine gemeinsame Leidenschaft: das Abzocken. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit betrügerischem Geldspiel. Dabei varieren die Geldbeträge ebenso wie die Technik. Während der junge Roy Dillion (John Cusack) sich mit allerlei Taschenspieler- und Kartentricks mühsam ein paar „bugs“ verdient, investiert seine Mutter Lilly (Anjelica Huston) tausende von Dollars in Pferdewetten. Roys leichtlebige Geliebte Myra (Annette Bening) wiederum hat früher texanische Ölmiliardäre durch gefälschte Börsenspekulationen um einige Millionen erleichtert, mittlerweile setzt sie ihren Körper aber auch schon bei weit geringeren Beträgen ein.

In einer dynamischen Parallelmontage führt Frears die Charaktere ein, bevor sie sich an Roys Krankenbett zum ersten Mal in einer Szene zusammenfinden. Der Taschenspieler hat eine Ungeschicklichkeit mit einem heftigen Schlag in den Magen bezahlen müssen. Seine Mutter, die er seit Jahren nicht gesehen hat, taucht unverhofft auf, schafft den schwer Angeschlagenen ins Krankenhaus und rettet ihm damit das Leben. Frears hat Anjelica Huston für die Rolle der energischen Wettkönigin in knallrote Kleider und hochhackige Schuhe gesteckt. Ihr Haar ist Wasserstoffblond gefärbt, was bei all jenen, die sie als madonnenhafte Schönheit in Die Ehre der Prizzies kennen, für nachhaltige Irritation sorgt. Aber nicht nur bei den Haarfarben spielt der Regisseur mit dem falschen Schein. Roy versucht vergeblich, seine unsaubere Profession vor der Mutter und der Freundin zu verbergen. Seine Freundin Myra spielt überzeugend das naiv-erotisches Mäuschen, bevor sie schließlich dem verblüfften Roy eröffnet, daß sie schon wesentlich größere Deals eingefädelt hat als der kleine Falschspieler. So betrügen sich die Betrüger immer gegenseitig, um am Ende festzustellen, daß sie sich eigentlich am meisten selbst betrogen haben. Durch den ständigen Wechsel der Perspektive sorgt Frears für Spannung.

Lilly bewegt sich beim Wetten auf der Rennbahn cool und selbstbewußt. Sie hat alles im Griff. Solange jedenfalls, bis sie zum big boss zitiert wird. Ganz selbstverständlich hat sie von den gebündelten Geldscheinen, die sie im Auftrag eines Buchmachers setzt, immer etwas für sich abgezweigt. Plötzlich wird aus der harten Blonden eine zitternde Frau. Ihr „Chef“ versetzt ihr einen brutalen Schlag in den Magen, bevor er seine Zigarre auf ihrem Handrücken drückt. Nicht gerade gentlemen- like, aber Unterschlagung wird eben auch im Verbrechermilieu streng bestraft. Myra will Roy zu einem großen Coup überreden. Als Grundeinsatz schielt sie auf seine mühsam ersparten Zockerdollars. Doch der Spieler träumt insgeheim vom Ausstieg — so wie seine Mutter nach der brutalen Maßregelung daran denkt, sich zur Ruhe zu setzen. Doch das Startkapital für eine bürgerliche Existenz ist knapp, und darum spielen sich die Grifters am Ende gnadenlos gegeneinander aus.

Als Regisseur problematischer Beziehungsgeschichten interessiert Frears natürlich nicht nur die perfekte Inszenierung kleiner und großer Gaunertricks, sondern vor allem die gefühlsmäßigen Verstickungen. In Roy und Lillys Mutter-Sohn-Verhältnis schwingt eine latente Inzestversuchung mit, Myra und Lilly bekriegen sich aus Eifersucht usw.. Ganau an diesem Punkt drängt sich ein Vergleich mit den Gefährlichen Liebschaften auf. Hier wie da geht es um Getriebene, um Triebhafte, um Verrat und unterdrückte Leidenschaft. Und genau wie in den Gefährlichen Liebschaften enden auch die Spiele tödlich. Schwer zu sagen, ob es am Wechsel von Paris nach Los Angeles liegt, an dem typisch amerikanischen Stoff oder an den Zugeständnissen des Regisseurs an Hollywoods Kinokost, jedenfalls verliert der Film genau an diesem Punkt. Es fehlen die messerscharfen Dialoge und jene hintergründigen Andeutungen, die den Gefühlszustand der Protagonisten in einer einzigen Geste zeigen. In der Schlußszene der Grifters muß Anjelica Huston mit überzogenem Timbre „No, no no..“ schreien, um ihrem Schmerz über den Tod des geliebten Sohnes Ausdruck zu verleihen. Glenn Close genügte angesichts des tödlichen Endes ihrer gefährlichen Liebschaft dazu ein einziger Blick.

Stephen Frears: „The Grifters“

USA 1990, 119 Min. Mit Anjelica Huston, John Cusack; OF

Mittwoch, 20.2., 21 Uhr 15 im Fassbinder-Saal (Haus der Kulturen, Kongreßhalle)