Sibirische Schamanin

■ Stück für eine Kehlkopfsängerin, eine Performerin und eine Schauspielerin

Die Hochebene der steinigen Tunguska liegt in Sibirien; das Werktheater, wo die sibirische Hochebene Platz finden soll, im nördlichen Wedding. An diesem frostigen Abend ist das für den Theaterbesucher sowieso eins.

Gut durchgefroren, erwärmt sich der Zuhörer erst nach und nach in diesem von kleinen Lagerfeuern und gelegentlich von Sternen erhelltem Dunkel. Leider hat er nicht, wie die Erzählerin (Iris Disse), seine Schapka dabei, mit der alles begann, wie sie gleich ausführt. Diese kaum auf den Ohren, habe sie nurmehr russische Geschichten gehört. Dabei führt sie uns längst über Glatteis und in Sibirien spazieren. Sie erzählt die mythische Geschichte des Dorfmädchens Aidys (Grace Yoon), das einen Meteoritenstein findet, seltsame Träume hat, einem fremden Steinmann begegnet, den die Schamanin (Sainkho Namchalak), die erfolglos versucht, ihn für sich zu gewinnen, schließlich vertreibt. Womit sie großes Unheil über das Dorf herbeiführt und das ganze Volk in den Untergang stürzt.

Die Erzählerin ist zwischendurch zu Dr. Leonig Kulik geworden. Dersowjetische Wissenschaftler versucht diese rätselhafte Explosion von 1908 zu erforschen und erklärt schließlich, es habe nie einen Meteoriteneinschlag gegeben. Für die Gotteserscheinung aus tungusischer Sicht, die ganze Landschaften versengte, durch Druckwellen Menschen um Sprache und Bewußtsein brachte und die Bevölkerung der Tungusen dezimierte, wurden folglich weitere Erklärungen bis hin zu Ufolandungen gesucht. Manche Wissenschaftler verglichen sie in ihrer Wirkung mit der Atombombe von Hiroshima.

Das Mysterium rund um den Meteoritenstein versuchen derzeit in Berlin drei Künstlerinnen mit verschiedenen künstlerischen Mitteln atmosphärisch zu evozieren, wobei sie ihre unterschiedliche Herkunft ins Spiel integrieren. Während die Deutsche Iris Disse eher den Blickwinkel der Außenstehenden vertritt und mit ihrer Erzählung den Rahmen absteckt, mimt die Koreanerin Grace Yoon mit Stimme und Bewegung das nicht faßbare, zarte Mädchen. Sainkho Namchalak füllt den Raum durch ihre Stimmgewalt. Sainkho, die selbst aus Tuva in Südsibirien stammt und diese Geschichte aus ihrer Heimat als Aufführungsvorlage mitbrachte, verleiht ihr denn auch Kraft: ihre knarrenden, zirpenden, vibrierenden Töne, ihre scharfen Stimmbögen lassen einen sofort an die Schamanin glauben. Sie überzeugt davon, daß das Mysterium Wirklichkeit ist.

Dennoch ist die Inszenierung von Isabella Mamatis nicht wirklich geglückt. Sie läßt der möglichen Magie nicht ausreichend Raum. Sie hält sich zu sehr an die Abfolge der Geschichte, trennt nicht ausreichend zwischen Erzählung und Ritual. Der Tanz um die Feuerstelle bleibt angedeutet, alles wirkt wie eine kalte Probe für etwas, das erst noch entstehen soll. Mit Rhythmen, seltsamen Tönen auf seltsamen Instrumenten und optischen Effekten hat man kleine, besondere Konzentrationsmomente geschaffen, dennoch werden die verschiedenen Einfälle nicht in eins gezwungen. So wirkt die Geschichte ein bißchen dürftig und aus Sibirien herbeigezerrt, dessen Horizont uns verschlossen bleibt, auch wenn die Rückwand den Blick ins unendliche Blau freigibt. Michaela Ott

Der Tunguska-Meteorit. Mit Iris Disse, Grace Yoon und Sainkho Namchalak. Werktheater Wedding, Berlin 65. Noch bis 1. März