"Freiwillige" HelferInnen-betr.: "Antikriegsgedicht mit Folgen", taz vom 12.2.91

betr.: „Antikriegsgedicht mit Folgen“ (Unterschrift von Mitarbeitern des Nürnberger Klinikums soll Konsequenzen haben),

taz vom 12.2.91

Die Ereignisse am persischen Golf und die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in diesen Krieg haben ein längst verdrängtes Thema wieder aktuell werden lassen: die Funktionalisierung des Gesundheitswesens für militärische Ziele.

Diese Funktionalisierung ist beileibe nichts neues. Gerade die Krankenpflege kann davon ein Lied singen. Große Teile der organisierten Krankenpflege wurden in der Geschichte immer wieder für militärische Zwecke rekrutiert und waren ein wichtiger Faktor in der Kriegsführung. Dies war nur möglich durch die sehr strenge hierarchische Ordnung, die in einigen Punkten an militärische Strukturen erinnert. Noch heute ist das Rollenverständnis des Pflegepersonals geprägt durch die Kriegskrankenpflege einer Florence Nightingale: die hehren Traditionen der Selbstlosigkeit und Aufopferung, des „Dienens“ im Namen der Humanität und der Mitmenschlichkeit unter den verschiedensten „Herren“ stellen immer noch das größte Hindernis auf dem Weg zu einer Emanzipation des Pflegepersonals dar.

Wie selbstverständlich die Verantwortlichen und weite Teile der Öffentlichkeit davon ausgegangen sind, daß die Krankenpflege auch in diesem Krieg wieder die ihr zugedachte Rolle übernimmt, zeigen die Reaktionen auf die Resolution der Nürnberger KollegInnen und auf die Zeitungsannonce von 200 Beschäftigten der Alsterdorfer Anstalten in Hamburg. Von „einer Schande für die ganze Medizin“ war da die Rede, von „Unmenschen“, die „sofort entlassen gehörten“, ihnen wurde „Gesinnungslosigkeit“ vorgeworfen, der Name „Mitarbeiter“ abgesprochen und letztlich wurden sie zu „einer radikalen Minderheit von Berufsverweigerern“, denen dienst- und strafrechtliche Konsequenzen angedroht wurden. Dabei hatten sowohl die Nürnberger als auch die Hamburger KollegInnen ausdrücklich klargestellt, daß sie Verletzte versorgen werden. Nur fühlen sie sich dabei „erpreßt und gezwungen, eine brutale Militärmaschinerie zu unterstützen“.

Nun könnte man diese Reaktionen unter der üblichen Kategorie „Diffamierung politisch Andersdenkender“ abheften, wenn es da nicht einen Punkt gäbe, der stutzig macht. Die Mobilisierung des Gesundheitswesens für Kriegszwecke ist in der BRD gesetzlich geregelt. So verschieden diese Gesetze auch sind — sie reichen von Katastrophenschutzgesetzen auf Landes- und Bundesebene bis zur Notstandsverfassung des Grundgesetzes — eines ist ihnen gemeinsam: das Primat der Freiwilligkeit bei der personellen Besetzung des Kriegsgesundheitswesens. Erst wenn diese Freiwilligkeit nicht mehr gegeben ist, können Zwangsheranziehungen auf den verschiedenen Ebenen bis hin zur allgemeinen Dienstpflicht auch für Frauen nach Artikel 12 a Grundgesetz angeordnet werden.

Diese Zwangsheranziehungen sind jedoch in den meisten Fällen an die Erklärung des Bündnis-, Spannungs- oder Verteidigungsfalls gebunden und unterliegen zudem der Kontrolle der Landesparlamente oder des Bundestages. Da die innenpolitische Situation in der BRD aber im Moment die Schaffung dieser Voraussetzungen nicht opportun erscheinen läßt, bleibt nur ein anderer Weg, um das Gesundheitswesen für den Krieg zu rüsten: die erforderliche „Freiwilligkeit“ muß hergestellt werden!

Jeder Versuch, die Verplanung des Gesundheitswesens in die militärische Logistik in Frage zu stellen, gefährdet die Herstellung dieser „Freiwilligkeit“. Durch die massive Diffamierung und Kriminalisierung dieser Versuche wird in der Öffentlichkeit ein Klima geschaffen, das ein Nachdenken über die eigene Rolle in diesen menschenverachtenden Planungen nicht mehr zulassen soll.

Mensch soll sich daran gewöhnen, seine/ihre Arbeit militärischen Erfordernissen unterzuordnen, sei es als Pflegekraft in der Klinik, als niedergelassener Arzt/Ärztin oder als Schwesternhelferin, die bereits vor Beginn ihrer Ausbildung erklären mußte, daß sie in Kriegsfällen zur Verfügung steht („freiwillig“ natürlich, sonst wurde sie zum Kurs erst gar nicht zugelassen).

In dieser Situation liegt es an uns, an den Beschäftigten im Gesundheitswesen, sich nicht nur gegen unsere Einbindung in den Krieg, sondern auch gegen die Herstellung der „Freiwilligkeit“ durch Angst und Unterdrückung zu wehren. Wir müssen uns entscheiden, nach wem wir unseren Pflegedienst künftig ausrichten wollen: an der kriegsblinden Dienstbarkeit einer Florence Nightingale oder an Berta von Suttner, die ihrem Vater, als er sagte „was sich nicht verhüten läßt, muß man eben zu mildern trachten“ zur Antwort gab: „Die Erfahrung lehrt, daß eine ausreichende Milderung nicht möglich ist.“ Ich möchte daher, der Satz würde umgekehrt: „Was sich nicht mildern läßt, soll man verhüten.“

Wir unterstützen daher die Resolution der Kolleginnen und Kollegen des Städtischen Klinikums in Nürnberg, ebenso wie die Annonce der Beschäftigten der Alsterdorfer Anstalten.

Wir wünschen allen Kolleginnen und Kollegen in Nürnberg, in Frankfurt, in Hamburg und anderswo, die nicht mehr bereit sind, die Verantwortung für ihr Handeln an andere abzutreten, weiterhin den Mut, sich gegen den moralischen und politischen Druck, der auf sie ausgeübt wird, zu wehren. Robert Fink, Krankenpfleger, Hamburg, und Gruppe „Gegen die Notstandspflege“, aktive und ehemalige Pflegekräfte an der Hochschule für Wirtschaft und Politik und der Universität Hamburg (elf Unterschriften)