: Liebevolles Gerangel ums rot-grüne Programm
Die Ansprüche der Basis an die Verhandlungsdelegationen von SPD und Grünen in Hessen wachsen/ Doch der finanzielle Spielraum für rot-grüne Projekte tendiert gegen Null/ Dennoch laufen die Verhandlungen bislang konstruktiv-harmonisch ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) —Der noch amtierende hessische Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) sprach von „finanziellem Gestaltungsspielraum“ für die zusammenwachsende rot-grüne Koalition, die am 5. April die Regierungsgeschäfte in Wiesbaden übernehmen will. Wallmanns kluger Finanzminister und frisch gekürter Oppositionsführer im hessischen Landtag, Manfred Kanther (CDU), winkte dagegen nach den Landtagswahlen ab: „No money — no honey.“ Der Tribut auch des Landes Hessen an die fünf neuen Bundesländer, die Mitfinanzierung des Golfkrieges der Alliierten und nicht zuletzt die monetären Ausschüttungen der schwarz-gelben Regierungskoalition an die eigene Klientel lassen dem neuen Spitzenduo Hans Eichel (SPD) und Joschka Fischer (Grüne), das sich „mit Gestaltungswillen“ auf die Regierungsgeschäfte stürzen will, kaum noch finanziellen Spielraum. SPD-Landesgeschäftsführer Lothar Klemm meinte so auch auf die Frage, ob nun Wallmann oder Kanther die Lage richtig eingeschätzt hätten, resigniert: „Im Zweifel immer Kanther.“
Die Basis präsentiert umfangreichen Forderungskatalog
Dabei werden die neuen Koalitonäre in Hessen viel Geld brauchen, um die im Wahlkampf selbstgesteckten Ziele und die Wünsche der rot-grünen Basis auch nur im Ansatz befriedigen zu können. Hans Eichel versprach seinen Wählerinnen und Wählern die Schaffung von 3.000 neuen Stellen für Lehrerinnen und Lehrer, eine spürbare Forcierung des sozialen Wohnungsbaus und den „kundenfreundlichen“ Ausbau des Sozialsystems — alles extrem kostenintensive Vorhaben, von deren Verwirklichung aber die Glaubwürdigkeit der neuen Regierung abhängen wird. Dagegen haben sich die Grünen im Wahlkampf mit Versprechungen zurückgehalten. Doch gerade die grüne Basis feilte in den Wochen nach der Landtagswahl an detaillierten Sachprogrammen, die den Koalitonären während der laufenden Verhandlungen aufs Auge gedrückt werden sollen.
Für die aus der Startbahnbewegung hervorgegangene Arbeitsgemeinschaft „Flughafen 2000“ sollen Fischer und seine Verhandlungscombo der SPD unter anderem eine Absage an die Geschäftsfliegerei und die „ersatzlose Schließung von Wiesbaden-Erbenheim“ sowie die anschließende „Renaturierung“ dieses US-Flugplatzes abringen. Der BUND- Landesverband Hessen verlangt ein Moratorium bei Sondermüllverbrennungsanlagen und mittelfristig ein „Ausstiegszenario“ aus der Müllverbrennung.
Der Initiativausschuß Ausländische Mitbürger in Hessen hat einen umfangreichen Forderungskatalog vorgelegt, der von der erwarteten Nichtanerkennung des neuen Ausländergesetzes bis hin zum Entwurf einer neuen deutschen Verfassung mit multikulturellem, integrativem Charakter reicht. Daneben arbeitet der Dachverband der selbstverwalteten Betriebe an neuen Investitions- und Finanzierungskonzepten für seine Mitgliedsfirmen — selbstverständlich in der Hoffnung auf einen warmen Geldregen aus der Landeshauptstadt, denn unter Wallmann war die „Staatsknete“ für den alternativen Sektor, abgesehen von einem Rinnsal aus dem Wirtschaftsministerium, weitgehend ausgeblieben.
Auch die diversen Arbeitsgemeinschaften der Grünen — von der „Bildungs AG“ bis hin zur „Arbeitsgruppe Verkehr“ — sind dabei, der grünen Verhandlungsdelegation programmatische Grundsatzpapiere zu erarbeiten. Dazu kommen Forderungen aus den grünen Kreis- und Ortsverbänden, die sich über die „Landesschiene“ ökologisch bedenkliche Großprojekte der alten Landesregierung vom Halse schaffen wollen.
Vor dem Hintergrund all dieser Ansprüche an die „neue Politik in Wiesbaden“ überrascht es nicht, daß die Koalitionäre im noblen Hotel Mönchbruchmühle bei Rüsselsheim in nicht öffentlichen Sitzungen über das künftige Sachprogramm verhandeln. Das wird inzwischen auch an der Basis der Grünen akzeptiert. Ein öffentliches „Hauen und Stechen“ — wie bei den Tolerierungsverhandlungen der Jahre 1983/84 — schade dem Image beider Parteien und belaste nur das Verhandlungsklima, erklärten diverse Kreisvorstände auf dem Landesparteitag Ende Januar.
Das Klima in der Mönchbruchmühle sei denn auch „ausgesprochen liebevoll“, meinte die designierte Frauenministerin Iris Blaul vor der letzten Verhandlungspause. Da waren die Sachbereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Energie und Gentechnologie bereits „abgehandelt“ ( Blaul). Beide Parteien verständigten sich auf eine Agrarpolitik, die „bauern-, verbraucher- und umweltfreundlich“ sein soll. Im Bereich Forstpolitik werden die Grundsätze der „Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft“ Programm. Und die Jagdpolitik soll sich demnächst an „waldschonenden ökologischen Gesichtspunkten“ orientieren.
In Sachen Energiepolitik schrieben SPD und Grüne — bei Ausklammerung der Atompolitik — das Energiespargesetz von 1984 fort. Hessen werde darüberhinaus alle Möglichkeiten nutzen, um die Reduzierung des CO-2-Ausstoßes bis zum Jahre 2005 um 30 Prozent zu senken. In der Gentechnologie wollen Grüne und SPD, daß alle gentechnischen Projekte in Hessen in Zukunft öffentlich bekannt gemacht werden. Als Grundsatz müsse gelten: „Kein Rabatt in Sicherheitsfragen.“ Die Nutzung gentechnischer Erzeugnisse für die Tierproduktion soll mit allen zur Verfügung stehenden politischen Mitteln verhindert werden.
Bislang keine Knackpunkte
Fragen nach den kommenden „Knackpunkten“ in den Verhandlungen schmetterten sowohl Iris Blaul als auch Lothar Klemm mit dem Hinweis ab, daß es keine „Knackpunkte“ gebe. In der Zielsetkung sei man sich nämlich auch in einer so schwierigen Frage wie der nach dem Ausstieg aus der Atomenergie einig — nur über den Weg dahin müsse man sich noch „intensiv unterhalten“. Ob SPD und Grüne auch in den problematischen Sachverhandlungsrunden der nächsten Wochen gemeinsam gangbare Wege finden, wird sich zeigen. Die leidige Ministerfrage bei den Grünen scheint allerdings schon geklärt, obgleich die Verhandlungspartner erst nach den Sachgesprächen über Zuschnitte und personelle Alternativen für die Ministerien reden wollten. Nach einer ordentlichen tabula rasa innerhalb der Landtagsfraktion steht — zumindest vorläufig — fest, daß die Grünen Joschka Fischer zum Umwelt- und Bundesratsminister und Iris Blaul zur Frauen- und Sozialbereichsministerin küren werden. Hans Eichel wird dann zumindest zwei Menschen aus seinem Schattenkabinett kippen müssen.
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