Das Zweistromland verliert seine Brücken

Im zweiten Monat des Krieges wird die irakische Infrastruktur systematisch zerbombt/ In Bagdad sind bereits sechs der zwölf Tigris-Brücken zerstört/ Auch der Benzinmangel lähmt das Land/ Die Händler halten ihre Läden auf Befehl von oben offen  ■ Aus Bagdad Khalil Abied

Die 1963 gebaute Hängebrücke über den Tigris, eine der schönsten Sehenswürdigkeiten der irakischen Hauptstadt, war der Stolz der Bewohner von Bagdad. Am 9. Februar um 7 Uhr 30 abends verlor die Stadt ihre elegante „Brücke des 14. Juli“. Bei einem Luftangriff wurde sie von zwei Raketen zerstört. Nur ein Auto befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Brücke, der Fahrer ertrank in den Fluten des Tigris, sein Begleiter, ein guter Schwimmer, konnte sich ans Ufer retten. Am nächsten Tag standen viele Bagdader vor der Brücke, traurig und voller Bitterkeit. „Sie war die Brücke der Liebenden“, sagt mir Ahmad Assam, ein 45 Jahre alter Lehrer. „Ich erinnere mich noch gut. In den sechziger Jahren, als ich noch jung war, da gingen wir abends auf der Brücke spazieren, um den schönen Mädchen und Frauen Liebesworte zuzuflüstern.“

Während alle den Beginn des Bodenkrieges erwarten, werden die Luftangriffe der multinationalen Truppen unvermindert fortgesetzt. Der Krieg nimmt in seinem zweiten Monat die Form einer systematischen Zerstörung der irakischen Infrastruktur an. Am gleichen Tag, an dem die „Brücke des 14. Juli“ zerstört wurde, fielen die Bomben auch auf die „Alschuhada-Märtyrer- Brücke“, vier Tage zuvor hatte die Jumhurriah-Brücke bereits das gleiche Schicksal ereilt. In der Nacht zum 12. Februar wurde auch die At- Tahrir-Brücke ein Opfer der Bomben, und die „Flying Bridge“ in Dorra, zwanzig Kilometer von Bagdad entfernt, ist ebenfalls zerstört. Verbitterung und Wut der Iraker sind groß, denn die Brücken verkörperten für sie nicht zuletzt den Erfolg ihrer Bemühungen um die Entwicklung des Landes.

Von den zwölf Brücken, die über den Tigris hinweg den Ost- und den Westteil der Sechsmillionenstadt Bagdad miteinander verbanden, sind sechs bereits zerbombt. Die Bagdader benutzen jetzt oft kleine Boote, um den Tigris zu überqueren. Ohne seine Brücken wäre das Leben in der Stadt gelähmt, die Situation würde für die Menschen unerträglich werden. Nicht nur die Fortbewegung in der Stadt wäre schwierig, vor allem auch die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln würde zu einem gewaltigen Problem.

An beiden Ufern sieht man Hunderte von Menschen, die Gefäße mit Wasser füllen. „Viele Leute trinken dieses Wasser“, erzählt mir ein Iraker, „es ist natürlich verschmutzt, aber sie haben keine andere Möglichkeit.“ Er erwartet, daß in der Folge sehr viele Menschen Opfer von Krankheiten und Seuchen werden. Einige junge Männer waschen sich im Fluß, Frauen spülen Geschirr und waschen Kleider.

Der Irak heißt auch Mesopotamien, das „Zweistromland“, weil die beiden Flüsse Tigris und Euphrat das gesamte Land und viele seiner Städte durchqueren. Das in den letzten fünfzehn Jahren aufgebaute Netz von modernen Autobahnen und Brücken war ein entscheidendes Mittel, um das Land zu vereinigen. Im Irak pflegte man zu sagen: „Alle Wege führen nach Bagdad.“ Dies gilt nun nicht mehr. Im ganzen Land sind Brücken zerstört, die Verbindung zwischen der Hauptstadt und anderen Städten ist schwierig geworden. Bei meinen Reisen nach Basra, Nasserya, Nagaf, Kut, Hilla und in viele andere irakische Städte konnte ich diese Schwierigkeiten direkt sehen und fühlen. Mehrmals mußten wir Umwege von hundert Kilometern und mehr fahren, um unsere Ziele zu erreichen.

Militärische Bewegungen habe ich bei meinen Fahrten auf diesen Autobahnen und Brücken kaum gesehen. Die Zerstörung der Infrastruktur zielt auf die Wirtschaft des Iraks, nicht auf das Militär. Die irakischen Truppen benutzen diese Brücken auch gar nicht, sondern besondere, von den Ingenieureinheiten der Armee gebaute. Die einzigen Opfer, die ich auf den Straßen und den zerstörten Brücken gesehen habe, waren Zivilisten. 150 Kilometer vor Basra standen fünf ausgebrannte Busse und sechs Autos, die von Bomben getroffen worden waren.

Auch staatliche Behörden und Ämter sind offensichtlich Ziel der unverminderten Bombardements. Dennoch bemüht sich die Regierung, die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Die Müllkutscher arbeiten fleißig, und noch ist die Stadt sauber. Das Handelsministerium befahl allen Ladenbesitzern und Kaufleuten, Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und Mehl aus den Lagern abzuholen und zu niedrigen offiziellen Preisen in ihren Geschäften zu verkaufen. Jeder Händler, drohte das Ministerium, der seinen Laden nicht öffnet und die Produkte nicht verkauft, verliert seine Lizenz und wird bestraft. Eines der größten Probleme ist im Augenblick die Versorgung mit Ölprodukten wie Benzin, Kerosin und Diesel. Es gibt sehr große Schwierigkeiten, an genügend Treibstoff für die Lastkraftwagen zu kommen, was die Lieferung von Nahrungsmitteln in die Städte enorm behindert. Auch viele Fabriken können ihre Maschinen wegen Treibstoffmangels nicht betreiben.

Die Zerstörung von Fabriken und Produktionsstätten durch die Luftangriffe geht weiter. In Hilla, 150 Kilometer von Bagdad entfernt, sah ich eine bombardierte Textilfabrik, in Basra die Ruinen einer Mineralwasserfabrik, in der Stadt Ibn Saad ein zerstörtes Getreidelager. Auch andere bedeutungsvolle Einrichtungen fielen den Bomben zum Opfer, so etwa der prachtvolle „Konferenzpalast“ in Bagdad, Schauplatz zahlreicher arabischer Gipfeltreffen. Er wurde am 13. Februar bombardiert.