Reaktionen auf den Gorbatschow-Plan
: Warten auf Saddams Antwort

■ Mit Spannung wartet die Welt auf Saddams Reaktion auf den Moskauer Friedensplan. Tarik Asis deutete erneut Bereitschaft zum Abzug aus Kuwait an.

Beginn der Bodenoffensive oder Ende des Krieges — diese Frage stand gestern auf Messers Schneide. Dabei gab es im Laufe des Tages auch einige hoffnungsvolle Anzeichen dafür, daß der Irak möglicherweise gewillt sein könnte, auf den sowjetischen Vier-Punkte-Plan einzugehen und damit einem bedingungslosen Rückzug aus Kuwait gemäß der UN-Resolution 660 zuzustimmen.

So sagte der Gorbatschow-Berater Andrej Gratschew am Dienstag in einem Interview, der irakische Außenminister Tarik Asis habe in Moskau „den bedeutsamen Wandel von Grundsätzen in der irakischen Haltung bestätigt, daß Irak nämlich den bedingungslosen Rückzug seiner Truppen aus Kuwait akzeptieren“ werde. Asis selbst beschrieb seine Haltung nach dem Gespräch mit den iranischen Präsidenten Rafsandjani mit den Worten: „Die Annahme der Resolution 660 und der Beginn von Verhandlungen über den Rückzug sind eine aufrichtige Maßnahme, und wir bestehen weiter darauf.“ Die Einschätzungen dieser Äußerungen gingen zunächst auseinander, da von einem bedingungslosen Rückzug nicht ausdrücklich die Rede war.

Asis wurde noch für den Dienstag wieder in Moskau erwartet. Doch ob sich der irakische Außenminister gestern nachmittag auf dem Weg nach Moskau befand oder sich noch in Bagdad oder gar Teheran aufhielt, war nicht bekannt. Eine endgültige Antwort Bagdads lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.

Einzelheiten des Moskauer Friedensplans wurden offiziell nicht bekanntgegeben. Doch Gorbatschows stellvertretender Sprecher, Sergej Grigorjew, bestätigte eine Darstellung der 'Bild‘-Zeitung, die über vier Kernpunkte berichtet hatte. Demnach soll sich der Irak ohne Vorbedingungen aus Kuwait zurückziehen. Die UdSSR wolle sich dann dafür einsetzen, daß die „staatliche Struktur und die Grenzen Iraks“ erhalten blieben. Sie werde sich ferner Strafmaßnahmen gegen Irak widersetzen. Schließlich sehe der Plan Verhandlungen über alle weiteren Probleme vor, etwa der Palästina- Frage. Gorbatschow-Sprecher Ignatenko dementierte jedoch den zeitungsbericht.

Unklar blieb zunächst, wieviel Zeit dem Regime in Bagdad vor dem Hintergrund der bevorstehenden Bodenoffensive eingeräumt wird. In Moskau war gestern zunächst von zwei Tagen die Rede. Wenn man diese 48 Stunden vom Zeitpunkt des Abflugs des irakischen Außenministers aus Moskau an rechnet, würde die Frist am heutigen Nachmittag ablaufen. Ignatenko nannte einen Zeitraum von 24 oder 48 Stunden ab Dienstag.

Die Bush-Administration beurteilte gestern in offiziellen Stellungnahmen die Chancen für eine Beendigung des Krieges auf Basis der Moskauer Vorschläge zurückhaltend und skeptisch. Mit Verweis auf eine entsprechende Bitte Gorbatschows wurde der Inhalt der Vorschläge zunächst vertraulich behandelt. Doch bereits vor Erhalt der Vorschläge sowie eines Berichts über die Gespräche von Asis mit Gorbatschow, die per Kabel in Washington eintrafen, erklärte Präsidentensprecher Fitzwater am Montag mittag: „Wir rechnen nicht mit einem diplomatischen Durchbruch. Unsere Hoffnungen ruhen darauf, Irak mit unseren Luft- und Landstreitkräften aus Kuweit zu vertreiben.“

Nachdem Präsident Bush die Informationen aus Moskau im engsten Führungskreis über zwei Stunden lang beraten hatte, hieß es am Abend aus dem Weißen Haus: „Die militärische Kampagne geht entsprechend dem bisherigen Zeitplan weiter.“

Aus dem Pentagon war jedoch inoffiziell zu erfahren, daß Präsident Bush den Befehl zum Bodenangriff gegen Irak nicht geben werde, bevor in Moskau eine Antwort Iraks vorliege. Hiermit wurde für Dienstag abend (Ortszeit Washington) gerechnet. Nach einer Befehlserteilung dauere es noch einmal 24 bis 48 Stunden bis zum Beginn der Bodenangriffe, hieß es im Pentagon. Aus der langen Dauer der Beratungen im Weißen Haus und der Tatsache, daß die Bush-Administration die Moskauer Vorschläge nicht umgehend ablehnte, schlossen die meisten politischen Beobachter in Washington, daß ihr Inhalt akzeptabel sein könnte. Es wurde nicht ausgeschlossen, daß die US-Regierung an eine Zustimmung ihrerseits noch die eine oder andere Bedingung knüpfen könnte, etwa, daß die irakischen Soldaten beim Rückzug aus Kuwait ihre Waffen abgeben.

Die israelische Presse äußerte am Dienstag Besorgnis über die jüngste sowjetische Initiative. Im Blatt der oppositionellen Arbeiterpartei, 'Davar‘, hieß es, daß „eine positive Antwort des Irak auf die sowjetischen Vorschläge sowohl die Vereinigten Staaten als auch Israel enttäuschen“ würde. Damit werde die Hoffnung zunichte gemacht, das Regime von Saddam Hussein zu beseitigen. Außerdem würde die Annahme des Friedensplans der konservativen Führung der UdSSR die Möglichkeit geben, wieder eine von den USA unabhängige Großmacht-Außenpolitik zu betreiben.

Auch in anderen israelischen Zeitungen wurde auf die „Gefahr“ hingewiesen, daß der Krieg beendet werden könne, ohne die beiden Hauptziele aus israelischer Sicht zu erreichen: die zerstörung der irakischen Kriegsmaschinerie und die Beseitigung Saddam Husseins. Der Kommentator der Zeitung 'Maariv‘ wies auf einen anderen Aspekt hin: „Falls Amerika Saddam Hussein besiegt, hat Israel — vom Sicherheitsstandpunkt her — gewonnen. Andererseits bedeutet dies auch künftigen politischen Druck auf Israel (durch die USA, d. Red.). Falls Saddam Hussein an der Macht bleibt, werden sich hier die Kreise freuen, die vor der Neuordnung des James Baker Angst haben.“ bs/azu/aw