„Treten Sie zurück, Minister Braun“

Die Fraktion Bündnis 90/Grüne im sächsisch-anhaltinischen Landtag will Braun nun seines Postens enthoben sehen/ SPD beantragt Sondersitzung des Innenausschusses des Landtages in Magdeburg  ■ Von Eberhard Löblich

Magdeburg (taz) — In der Affäre um Sachsen-Anhalts Innenminister Wolfgang Braun (CDU) ist jetzt auch die Opposition aufgewacht. Über eine Woche nach den Veröffentlichungen des 'Spiegel‘, die Braun der Spitzeltätigkeit für den Stasi beschuldigen, hat am Dienstag die Fraktion Bündnis 90/Grüne im Landtag den Rücktritt des Innenministers gefordert. Die Fraktion forderte Ministerpräsident Gerd Gies (CDU) auf, Braun unverzüglich so lange von seinen Aufgaben zu entbinden, bis alle Vorwürfe restlos aufgeklärt seien. Damit zieht die Fraktion den Schluß aus ihrer Erkenntnis, daß Braun wohl solange wie irgend möglich auf seinem Sessel kleben bleibe.

Die SPD-Fraktion hat am Dienstag eine Sondersitzung des Innenausschusses des Landtages beantragt. Es sei unerträglich, „daß die nun schon einige Wochen vorgetragenen Vorwürfe durch Regierung und Innenminister nicht ausgeräumt werden konnten“. Das Verhalten des Ministers gebe eher Anlaß zu weiteren Spekulationen, hieß es in einer Presseerklärung. Um den Innenausschuß einzuberufen, brauchen die Sozis aber auch Stimmen aus dem Regierungslager.

Die Landesregierung Sachsen- Anhalts hält eine Aufklärung der gegen Innenminister Braun erhobenen Vorwürfe einer möglichen Stasi- Mitarbeit inzwischen für „dringend nötig“. Regierungssprecher Michael Gentsch sagte im Anschluß an die Kabinettssitzung, sowohl Braun als auch die Regierung befürworteten den Antrag der SPD-Fraktion, eine Sondersitzung des Innenausschusses einzuberufen. Braun habe sich am Montag an den Sonderbeauftragten für die Stasi-Akten, Gauck, gewandt, um Klarheit in seinem Fall zu bekommen. Mit Ergebnissen könne jedoch erst innerhalb einer Woche Frist gerechnet werden.

Gentsch bekräftigte, das Kabinett sehe auch nach neuerlichen 'Spiegel‘-Veröffentlichungen keinen Anlaß, an der vom Innenminister abgegebenen Zurückweisung der Anschuldigungen zu zweifeln.

Braun selbst taucht unterdessen ab. Nach den erneuten Vorwürfen des 'Spiegel‘ ließ der Minister eine Pressekonferenz zu einem ganz anderen Thema kurzfristig platzen. Ein Referent seines Ressorts trat mit einer dürftigen Erklärung des Ministers vor die Journaille.

Die Vertrauensbekundungen aus den Regierungsfraktionen und dem Kabinett gegenüber Braun werden unterdessen zurückhaltender. Bislang bezogen sie sich auch lediglich auf die Vorwürfe der Stasi-Spitzelei. Über die dubiose Personalpolitik des Ministers verlor bislang keiner seiner Verteidiger ein Wort.

Die ist eng verknüpft mit dem Frankfurter Privatdetektiv Klaus- Dieter Matschke. Der sollte, so der 'Spiegel‘, für Sachsen-Anhalt einen Verfassungsschutz aufbauen. Den Auftrag hatte er im Herbst 1990 unmittelbar nach der Landtagswahl zu einem Zeitpunkt erhalten, als es noch gar keinen Innenminister Braun, geschweige denn ein Gesetz oder eine parlamentarische Debatte über die Einrichtung eines Geheimdienstes gab.

Matschke besaß für den Job einschlägige Erfahrungen. Jahrelang arbeitete er dem niedersächsischen Verfassungsschutz als freiwilliger Informant zu. Und weil die Vergütungen in Sachsen-Anhalt unter denen in Niedersachsen liegen, ließ sich Matschke nach eigenen Angaben auch noch mit einem Auftrag niedersächsischer Verfassungsschützer versehen. Er sollte alte Stasi-Offiziere, die in nichtssagende zivile Existenzen abgetaucht sind, an den niedersächsischen Geheimdienst liefern. Nicht zur Weiterleitung an den Staatsanwalt, sondern zur Weiterbearbeitung durch die Personalabteilung des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Als die Magdeburger Presse Matschkes dubiose Herkunft enthüllte, trennte sich der Minister umgehend von dem Frankfurter Privatschnüffler. Matschke erhielt darüber hinaus Hausverbot in sämtlichen Dienststellen des Innenministeriums und der Polizei in Sachsen-Anhalt. Auch der geplante Personaltransfer besonders affairensicherer Beamter des niedersächsischen Verfassungsschutzes an die Elbe wurde storniert. Nur einer, der hat's vorher geschafft. Hans-Peter Mahn (CDU), ehemals Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes mit äußerst fragwürdiger und affairengeschüttelter Dienstvergangenheit, fungiert inzwischen als Staatssekretär im Innenministerium.

Die Affaire Braun zieht inzwischen auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ihre Kreise. Wie aus dem dortigen Innenministerium zu erfahren war, wurden zwei Beamte des niedersächsischen Verfassungsschutzes von ihren Vorgesetzten aufgefordert, gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren zu beantragen, weil sie den Presseberichten zufolge allzu sehr in die Affaire Braun/Matschke verwickelt seien. Und diese Affaire entwickelt sich immer mehr zu einem Politkrimi, für den man einen echten Krimiautor der hemmungslosen Übertreibung beschuldigt hätte. Fortsetzung folgt.