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Leipziger Obdachlosenasyl

In Leipzig rund 200 akut Wohnungslose/ Für 48 von ihnen gibt es eine Bleibe im der Leipziger Queckstraße/ Räumungsklagen wird ohne Ausweichmöglichkeiten bisher nicht stattgegeben  ■ Von Stefan Schwarz

Leipzig (taz) — Auf rund 200 schätzt Klaus Hinze, einstiger Sozialdiakon der Michaeliskirche und nunmehr Obdachlosenbeauftragter der Stadt Leipzig, die Zahl der akut Wohnungslosen. Für 48 von ihnen gibt es seit dem 15.Januar eine vorläufige Bleibe im neu eröffneten Obdachlosenasyl in der Leipziger Queckstraße. Die Öffnung der Einrichtung kam reichlich spät, geplant war sie eigentlich vor Weihnachten. Mittlerweile hat der Winter schon einige Probleme geliefert. Aber erst im November war die Leipziger Öffentlichkeit, mithin die Stadtverordnetenversammlung, hinreichend sensibilisiert, daß auch Gelder zur Einrichtung eines ersten (!) Obdachlosenheims bewilligt wurden. Eine Arbeitsgruppe „Obdachlosigkeit“ beim Rat der Stadt, die mit den verschiedenen karitativen Organisationen Leipzigs zusammenarbeitet, wurden ins Leben gerufen. Im Dezember erfolgte dann die Berufung des Sozialdiakons Hinze zum Obdachlosenbeauftragten. Hinze war unbedingt der rechte Mann für diese Aufgabe. Er hatte seit 1987, als sich die Behörden mit einer umfänglichen Amnestie zum BRD-Besuch Honeckers konfrontiert sahen, den kirchlichen Arbeitskreis „Amnestie“ geleitet, der sich für die Wiedereingliederung ehemaliger Strafgefangener einsetzte. Aus diesem Personenkreis kommen denn auch die ersten Obdachlosen. Vorrangig sind es „44er“, benannt nach dem Strafrechtsparagraphen der alten DDR, der für jeden Rückfall die Mindeststrafe von einem Jahr vorsah, womit sich ein wohlfeiles Arbeitsheer halten ließ. Konnten sie sich damals „draußen“ mit Pflichtwohnung und Pflichtarbeit eine Weile über Wasser halten, so werden sie nun als Ex- Knackis mit unstetem Lebenswandel, Alkoholismus und Fehlschichten als erste in die Arbeitslosigkeit entlassen. Oft ohne hinreichende soziale Bindung und behördenscheu gehen sie auch gleich der Unterkunft verlustig. Vor allem für sie sind Zweibettzimmer, Gemeinschafts- und Waschräume im neuen Obdachlosenasyl gedacht. 13 Sozialarbeiterstellen sind bewilligt; Mitarbeiter, die den gestrauchelten beispielsweise mittels gemeinsamer Behördengänge ins bürgerliche Leben zurückhelfen sollen. Auf Obdachlose im Sinne des Gesetzes, also Leute, die aufgrund von Räumungsklagen und Mietschulden ihr Heim verlieren, wird man in Leipzig noch ein bißchen warten müssen. Die paar westdeutschen Leihrichter, die derzeit Recht in Leipzig sprechen, weigern sich, Räumungsklagen ohne vorhandene Ausweichmöglichkeiten nachzugeben. Die Wohnungs- und Baugesellschaft mbH, größter Hausbesitzer in Leipzig, legalisiert derzeit lieber die reichlichen Schwarzmieter, sofern sie sich maßvoll mit Wohnraum versorgten.

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