Aus Schauder vor dem Fremden

■ Im Freiraum-Theater zu Gast: die japanische Butoh-Tänzerin Yumiko Yoshioka / Drei Tanzabende am Wochenend

hierhin bitte

die Japanerin

Yumiko Yoshioka beim Vorführen einer Butoh-FigurFoto: Tristan Vankann

Japaner: Kameras um, Butoh, Brutto, Netto, Kriegsverlierer, späte Kriegsgewinner, Schwämme, saugen auf, was ihnen auf der Hannovermesse vor die Sehschlitze kommt, Amerikanisierte, wenig Eigenes.

Eine sitzt mir gegenüber auf dem Polster im Freiraum-Theater, Yumiko Yoshioka, Butoh- Tänzerin aus Tokio, seit drei Jahren in Berlin, im Augenblick in Bremen für einen workshop im Freiraum-Theater. Und mit der Gruppe „Theatre Danse Grotesque“ macht sie drei Tanzabende.

Schwämme, ja. Sie ist nicht beleidigt. Sie greift das auf, wie ein Schwamm eben. Aber beim Verdauen des Aufgesogenen entstehe Neues. Amerikanisierte seien sie, aber ganz europäisch werde sie nie werden. (Aha, das ist für die also das gleiche, das Amerikanische und das Europäische.) Sie werde immer gern Reis essen, immer gern dem Boden nahe sein, „tatami“, unten.

Unten. Später taucht das Wort wieder auf. Yumiko Yoshioka beschreibt den Butoh-Tanz, wie sie ihn tanzt: Beim Tanzen tauchen Dinge, die sie nicht mehr weiß, aus dem körperlichen Gedächtnis auf. „Aus dem...wie sagt man?“ Aus dem Unbewußten, will ich einhelfen. Sie zeigt nach unten. „Von dem Boden. Von unten. Was da auftaucht, ist manchmal sehr lustig.“ Ach so? Das Unbewußte, gefaßt als Raum, als Unten, und dann ist das auch noch lustig? Das japanische Unbewußte scheint tatsächlich eigene Formen zu haben.

So wie Yumiko eigene des Ausdrucks. Ich merke das daran, daß ich bei ihren ersten Antworten immer ratlos und am Tasten bin. Wie ist sie zum Butoh-Tanzen gekommen? — Weil sie plötzlich gedacht hat, sie sollte es tun. - Warum wieso? — Sie hatte Literatur studiert in Tokio und einen immer dickeren Kopf gekriegt, es war als ob „die Gedanken explodiert“ sind.

Dann hat sich auf einmal eine Anzeigen von der Butoh-Companie Ariadone in die Hand bekommen und hat gewußt, das macht sie. Ist 10 Jahre dabei geblieben.

Früher litt sie Atemnot. Das ging, sagt sie, sofort weg mit dem Tanzen.

Hat, um deren Stücke zu finanzieren, zum Entertainment getanzt, in Clubs und nackt. Hat ihr Spaß und Präsenz gebracht.

Plötzlich eine Karte in die Hand, das klingt wie Fügung. — „Fügung“ versteht sie nicht. — So als wolle sie ausdrücken, höhere Kräfte hätten ihre Hand im Spiel? — „Es ist ja alles Zufall und Notwendigkeit zugleich“, sagt sie, und ich beschwere mich, daß das immer richtig ist. Die Kritik versteht sie nicht. Macht freundlich interessierte Schlitzaugen.

Sehr viel später sagt sie beiläufig, sie habe beim Studium immer mehr das Gefühl gehabt, keine Luft mehr zu kriegen, und die Ärzte hätten nicht gewußt, was dagegen tun. Ach so. Und nach dem Tanzen? fällt mir gegen Ende des Gesprächs ein. Ach, sagt sie, leichthin, sie hat die Atemnot sofort vergessen mit dem Tanzen. Sie berichtet das beiläufig und auf Nachfragen, nicht wie die Wunderheilung, die es ist.

Sie ist so freundlich, aber immer so japanisch, man muß ihr nachstellen. Etwa extra-direkt fragen: „Wie alt bist Du? „ Dann sagt sie freundlich und extra-unbestimmt: „Ich sage immer, ich bin 29.“

Butoh, hat sie ihren Workshop- SchülerInnen aufgeschrieben, das ist wie eine „Reise mit Angst und Spaß in eine verkehrte Welt“. Ist das so wie bei Odysseus, der in alles nur gerät, weil er zu Penelope nachhause will? „Manchmal habe ich einen Plan, manchmal erwartet mich jemand,“ beschreibt Yumiko Butoh, ihr Fahrzeug auf der Reise ins Fremde, „wenn beides nicht der Fall ist, stehe ich wie vor einer Höhle oder einem Labyrinth und weiß nicht, was mich erwartet. Das Unbekannte läßt mich vor Angst und Neugierde erzittern. Obwohl ich befürchte, nicht mehr zurückzufinden, wenn ich die Höhle betreten, mache ich trotzdem den Schritt hinein. In diesem Moment entsteht der Tanz aus dem Schaudern und dem Kribbeln vor dem Unbekannten.“ Uta Stolle

Am 22./23./24.2., je 20.30 Uhr ist Yumiko Yoshioka im freiraum theater zu sehen: tatoeba — theatre danse grotesque. Titel: „All Moonshine/T. For Three“