Eine diffuse Apokalypse

■ Sowjetischer Wettbewerbsbeitrag: „Satana“ von Aristow

Aufsteigende Nebelschwaden, eine Mutter, die ihr Kind durch die nächtlichen Straßen zieht, ein Mann, der sagt, wir müssen zusammenhalten, Miliz, ein auf der Straße liegender Transvestit, eine Ambulanz und eine aus dem Nebel auftauchende Trambahn: so kündigt sich Satan an.

Nach diesem mit rhythmischer Musik unterlegten, beklemmenden Anfang bewegt sich die Kamera in weich gepolstertem Interieur: einem Schulmädchen werden Zöpfe geflochten, das von weißen Menschen und seinem Traum vom Fliegen erzählt, die zöpfeflechtende Mutter sitzt zwischen gut aufgeschlagenen Kissen — ein für sowjetische Verhältnisse äußerst gepflegtes Milieu. Die Verzahnung zwischen der Grausamkeit der Straße und der Gedämpftheit des Luxus kommt schneller, als man denkt: das Mädchen steigt zu einem jungen Mann auf das Fahrrad, der vorgibt, es zur Schule fahren zu wollen, und es dann neben einer Bahnstreckke mit einer Milchflasche erschlägt.

So willkürlich und unvorhergesehen diese Tat ist, als deren Motiv gegen Ende verschmähte Liebe angegeben wird, so rabiat nähert sich der Mörder anderen Frauengestalten, vergewaltigt eine Braut im Hochzeitskleid, steigt bei einer anderen durch das Fenster: er sei zu sehr gedemütigt worden, sagt er, mußte jemanden töten, damit er sich selbst nicht töten muß.

Er leugnet daher auch, das Kind entführt zu haben, um Lösegeld zu bekommen: das Geld, das die Mutter schließlich bezahlt, interessiert ihn nicht. Wie höufig in sowjetischen Filmen geht es eher um die Gottferne des einzelnen, der das höchste Verbrechen, den Kindsmord, stellvertretend für die Schlechtigkeit der ganzen Menschheit ausführt. Und doch bleibt unklar, ob er der Satan ist oder nicht eher die Mutter, deren Handlungsweise nicht aufgehellt wird, die zur Überraschung ihres Mannes plötzlich aus Verstecken Geld hervorzieht, dessen Herkunft unbekannt ist.

Neben diesem Erzählstrang versucht der Regisseur Viktor Aristow, möglichst unterschiedliche Milieus detailgenau und realistisch miteinander zu konfrontieren: der wodkatrinkende Großvater des Mörders in seinem kleinen verwahrlosten Gartenhäuschen ebenso wie das Zimmer des Mörders in einer Kollektivwohnung und die unterschiedlichen Personen, die dort dicht gedrängt und doch indifferent nebeneinander wohnen. Er führt die Zuschauer über den Lebensmittelmarkt und durch die Vergnügungszeile, man beobachtet die Kleinkünstler auf der Straße ebenso wie das bürgerliche Theatermilieu. Ambitioniert will der Regisseur einen Querschnitt durch das heutige Rußland geben: bei der Hochzeitsfeier tut sich sogar ein russischer Antisemit und Armenierhasser auf. Dennoch wird mehr evoziert als erzählt. Die ersten Bilder haben keine Verankerung in der Gesamthandlung. Mit Musik und viel Dreck wird Stimmung gemacht — für eine diffuse Apokalypse. Michaela Ott

Viktor Aristow: Der Satan, UdSSR 1990, 90 Min. Mit Svetlana Bragarnik, Sergei Kuprijanow

21.2., Zoo-Palast, 9.30 Uhr

21.2., Urania, 21 Uhr