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„Das ist nicht so einfach wie mit der Solidarität für Nicaragua“

■ Über die deutsche Geschichte und den Unterschied zwischen dem israelischen Staat und der israelischen Regierung — ein Gespräch mit Ayala Goldmann, Deutsch-Israelin und Studentin der Judaistik und Arabistik, und Dr. Jeanne Brombacher, Judaistin aus Amsterdam, zur Zeit Dozentin an der FU Berlin

Weil sie schockiert waren über die Ignoranz vieler KriegsgegnerInnen gegenüber den irakischen Raketenangriffen auf Israel, verteilte eine kleine Gruppe von StudentInnen der FU Berlin Flugblätter mit der Überschrift: „Israel muß leben.“ „Israel hat mit dem Golfkonflikt nichts zu tun“, heißt es in dem Flugblatt weiter. „Es wurde durch den menschenverachtenden Terrorregime des Saddam Hussein in den Krieg hineingezogen.“ Die Aktion, mitinitiiert von der Berliner Judaistik-Studentin Ayala Goldmann un der Dozentin Jeanne Brombacher, richtete sich gegen die Einäugigkeit mancher Friedensgruppen, aber auch gegen das Informationsdefizit vieler KriegsgegnerInnen über die Situation im Nahen Osten. Kritik an Israel halten sie durchaus für berechtigt, doch wenn, dann fundiert. „Über die Politik Israels läßt sich streiten“, heißt es im Flugblattext, „über Israels Existenzrecht nicht." Doch statt zu Diskussionen fühlten sich mehrere KommilitonInnen zu Pöbeleien provoziert. Sie beschimpften die kleine Gruppe als „Rechtsradikale“, als „dumme, kleine Mädchen“ oder als „Kriegstreiber“. Für konstruktive Diskussionen zum Thema Golfkrieg reichen in diesen Zeiten offenbar auch an der Universität die Toleranz aber auch der Horizont nicht aus.

Wie notwendig ihre Flugblattaktionen waren und sind, sehen Ayala Goldmann und andere jüdische und nicht jüdische StudentInnen und DozentInnen nach dem Interview mit dem Bundesvorstandssprecher der Grünen, Christian Ströbele, erneut bestätigt. Ströbeles Aussagen haben für massive Proteste in Israel und in Deutschland gesorgt. Denn der Grünen-Politiker behauptet wörtlich, „die irakischen Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels“.

taz: Wie bewerten Sie die Äußerungen Ströbeles?

Ayala Goldmann: Ich finde das unglaublich. Dieser Mann schiebt faktisch Israel die Schuld am Kuwait-Konflikt zu. Ich weiß nicht, wo dieser Mensch eigentlich lebt. Jedenfalls steht er völlig neben der Realität. In diesen Äußerungen kommt eine Arroganz und Überheblichkeit zum Ausdruck, denn er hält es offenbar nicht für nötig, sich israelische Positionen anzuhören. Außerdem halte ich es für völligen Wahnsinn, sich aus Prinzipientreue gegen Waffenlieferungen an Israel auszusprechen, und die israelische Zivilbevölkerung alles ausbaden zu lassen, während er schön sicher in Berlin sitzt.

Jeanne Brombacher: Ich finde es infam, zu argumentieren, Israel sei letztlich selbst schuld. Zudem halte ich Ströbeles ganze Argumentation gegen die Waffenhilfe für Israel extrem naiv und widersprüchlich. Mir ist wirklich nicht klar, was der Mann eigentlich will. Ströbele sagt in dem Interview mit Henryk Broder, im Falle eines Raketenangriffs auf Deutschland würde er versuchen, „mitzuhelfen, diese Raketen hier nicht einschlagen zu lassen“. In Israel kann man das Einschlagen der Raketen momentan nur verhindern, indem man „Patriots“ schickt. Ganz ehrlich, ich habe mich ungemein über diese Aussagen aufgeregt. Ich finde sie einfach abscheulich.

Noch einmal zurück zur Anfangsphase des Golfkrieges. Was war der konkrete Auslöser, ein solches Flugblatt zu formulieren und zu verteilen?

Ayala Goldmann: Für mich war der konkrete Auslöser, daß ich am Radio saß und hörte, daß Israel wieder bombardiert worden ist. Die erste Version, übrigens viel schärfer formuliert, war kurz nach dem vierten Angriff auf Israel entstanden, als die Friedensbewegung auf die irakischen Angriffe gegen Israel noch überhaupt nicht reagiert hatte. Egal wo man hinsah, es gab Blockaden, Mahnwachen und Demos vor allem vor amerikanischen Kasernen. Meiner Meinung nach war die Ausrichtung vieler Aktionen zu einseitig.

Jeanne Brombacher: Man hatte den Eindruck, die Leute haben Saddam Hussein vergessen. Die Menschen haben gegen den Krieg und für die Umwelt demonstriert, aber fast niemand äußerte sich zu Saddam Hussein. Stattdessen gab es antiimperialistische und antiamerikanische Demonstrationen. Jetzt hat sich da was geändert. Hinzu kommt, daß Israel bei Kriegsbeginn noch viel stärker mit den Amerikanern über einen Kamm geschoren wurde. Jetzt steckt Israel eher in der Opferrolle. Was mich zudem enorm gestört hat bei den Friedensaktionen, war die oft große Unkenntnis der Leute über die Lage im Nahen Osten. Über die israelische Politik in den besetzten Gebieten kann man natürlich streiten; aber viele haben überhaupt keine Ahnung von den geschichtlichen Hintergründen. Viele setzen zum Beispiel die Invasion Kuwaits mit der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel gleich - ohne irgendetwas über den historischen Kontext zu wissen.

Aber die Kritik bezüglich antiamerikanischer bzw. antiisraelischer Tendenzen empfand ich zum Teil überzogen. Da wurden einige Scheingefechte initiiert. Den meisten, die da auf die Straße gegangen sind, konnte man eine eher unpolitische Angst vor dem Krieg unterstellen, aber keinen Antiamerikanismus oder antiisraelische Tendenzen...

A.G.: Ich meine jetzt auch nicht die Schüler, die demonstriert haben. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen Friedensdemonstrationen. Daß das Wissen um den Krieg an den Leuten in Deutschland nicht spurlos vorbeigeht, finde ich gut. Ich glaube nicht, die Mehrheit der Friedensbewegung bestreitet das Existenzrecht Israels, aber ich glaube, es wird nicht ernst genug genommen. Wenn Kohl oder irgendwelche CDUler sich hinstellen und sich über den Antiamerikanismus aufregen, dann tröstet mich das wenig. Und die offiziellen Solidaritätsbekundungen gegenüber Israel, ob nun in Form von Patriot-Lieferungen, oder Politikerreisen, machen mich mißtrauisch. Das ist in erster Linie Beweis ihrer Bündnistreue und nicht Ausdruck von „Scham“ gegenüber den Waffenlieferungen an den Irak oder der Verbundenheit zu Israel.

J.B.: Ich finde es trotzdem mutig, daß Rita Süßmuth und Hans-Dietrich Genscher nach Israel gefahren sind. In dieser Situation können es sie ohnehin niemandem recht machen.

A.G.: Unser Flugblatt richtet sich gerade an die Leute in der Friedensbewegung. Und von solchen Leuten habe ich allerdings Sätze gehört wie: „Solange Israel seine aktuelle Politik gegen die Palästinenser fortsetzt, hat es kein Existenzrecht.“

Was antwortet Sie jemandem, der Israel das Existenzrecht abstreitet und das mit der Politik in den besetzten Gebieten begründet ?

A.G.: Wenn jemand Israel das Existenzrecht abstreitet, dann streitet er auch meines ab. Und dann habe ich keine Veranlassung mit dem Menschen weiter zu reden.

J.B.: Ich werde ziemlich aggressiv — und mich erschüttert das auch. Wenn die Diskussion um das Existenzrecht Israels geht, dann frage ich die Leute, was sie denn sagen würden, wenn der deutsche Staat aufgelöst werden sollte. Dann schauen sie mich nur verblüfft an, nach dem Motto: Was ist das denn für eine blöde Idee. Ich kann auch nicht verstehen, warum man nur für die palästinensische, aber nicht für die israelische Seite Verständnis aufbringt. Beide Seiten haben sich wahrlich nicht wie Engel verhalten. Aber es wird nur aus der Sicht der Palästinenser betrachtet. Das verhält sich in Holland übrigens ähnlich. Als Israel in der Region mächtig geworden war, brauchte man kein Mitleid mehr zu haben. Da hat man sich auf die Seite der Underdogs gestellt. Was ich in Bezug auf Deutschland sehr wohl verstehen kann, ist, daß gerade die jungen Deutschen nicht immer wieder die deutsche Vergangeheit vorgehalten bekommen möchten. Aber daß manche sich aus Mangel an Informationen einfach auf die Seite der Palästinenser schlagen, das kritisiere ich ganz deutlich. Die haben selbst noch nie einen Palästinenser mit Haß in den Augen sagen hören: „Wir werfen Euch alle ins Meer.“ Sowas macht Eindruck.

Kann Israel nur dann auf Solidarität hoffen, wenn es in der Opferrolle steckt?

J.B.: Man darf das nicht verallgemeinern, aber zum Teil trifft das zu.

Im Fall des Irak betonen die meisten Kriegsgegner den Unterschied zwischen Bevölkerung und Regime. Im Falle Israels scheinen viele Linke ein opportunes Mißverständis zu pflegen. Daß nämlich Solidarität mit Israel gleichzusetzen ist mit der Solidarität mit der Regierungspolitik...

A.G.: Es geht nicht nur um die Solidarität mit dem israelischen Volk, sondern natürlich auch um Solidarität mit dem israelischen Staat. Ein israelisches Volk ist ohne den israelischen Staat nicht vorstellbar. Aber der Staat ist nicht die Regierung. Wenn jemand aus unser Flugblattüberschrift „Israel muß leben“ schließt, daß wir die Schamir-Politik unterstützen, dann ist das sein Problem. Aber uns war schon klar, daß dieser Titel provozieren würde, weil manche Leute das ständig vermischen. Wir wollten die Menschen zu dieser Auseinanderstzung zwingen, sie bewußt drauf stoßen, daß eine Kritik an der israelischen Regierung nichts mit der grundsätzlichen Solidarität mit dem Staat Israel zu tun hat. Die Sache ist nicht so einfach wie mit der „Solidarität für Nicaragua“. Da dachte jeder, das Volk ist für die Regierung und die Regierung ist fürs Volk und beide zusammen sind sie für die Revolution. Das paßt auf Israel leider nicht.

J.B.: Ich stelle mich doch auch nicht hin und sage, Deutschland ist gleich Kohl.

A.G.: Nur werden wir sehr viel stärker mit der offiziellen Politik assoziiert. Wenn ich meinen Namen oder mein Studienfach nenne, dann heißt es oft: „Ach, Du bist Jüdin. Was sagst Du denn zu Israel?“ Ich finde das komisch. Man fragt ja auch nicht jeden Türken, mit dem man sich gerade solidarisiert, was er von der Politik seiner Regierung gegenüber den Kurden hält. Aber wir müssen uns ständig für alles verantworten, was die israelische Regierung macht.

Was man bisher aus dem Unibereich, vor allem von den AStAs, gehört hat, war vor allem gegen die USA gemünzt. Zu Israel wurde nach meinem Wissen bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Fühlt Ihr Euch an der Uni als absolute Außenseiter?

A.G.: Es gab einen Zeitpunkt, kurz nach den ersten irakischen Bomben auf Israel, da dachte ich wirklich, ich stehe völlig allein da. Für mich war unsere Gruppe in manchen Tagen schon ein Fluchtpunkt. Dort wußte ich mich wenigstens mit den Leuten in einem entscheidenden Punkt einig: Das Existenzrecht Israels steht außer Frage.

Lange vor Beginn der Golfkrise gab es in der deutschen Linken immer schon sehr verkrampfte Auseinandersetzungen darüber, wie man sich gegenüber Israel bzw. wie man sich im paläsinensisch-israelischen Konflikt verhält...

A.G.: Seit Beginn der Intifada stehe ich da selbst in einem Zwiespalt. Ich habe das Gefühl, die Israelis treiben in eine absolute Katastrophe, wenn sie weiterhin diese Regierung unterstützen. Selbst diejenigen Israelis, denen die Palästinenser völlig egal sind, müßten in ihrem eigenen Interesse begreifen, daß man zu einer friedlichen Lösung kommen muß. Israel wird sich zudem nicht ewig der internationalen Unterstützung versichern können. Die Amerikaner werden vielleicht irgendwann einmal nicht mehr Großmacht sein. Zumal die Unterstützung für Israel meiner Ansicht nach immer eine oberflächliche war...

Wie auch die Unterstützung für die Palästinenser seitens der arabische Staaten immer eine oberflächliche war...

A.G.: Das stimmt auch. Trotzdem: Ich habe schon länger Angst um Israel, eigentlich seit dem Libanon- Krieg, als die ersten, großen Demos gegen Israel stattfanden, und als die ersten Leute mir erklärt haben, daß Israel faschistisch sei und kein Existenzrecht habe.

Was bringt einen Deutschen Ihrer Meinung nach dazu, zu behaupten, Israel sei faschistisch?

A.G.: Da kommt eine eindeutige Erleichterung darüber zum Ausdruck, daß die Juden nicht mehr das Volk der Opfer, sondern selbst Handelnde und, in einem ganz anderen Zusammenhang, auch Täter geworden sind. Jetzt kann man mit dem Finger auf sie zeigen und sagen: „Seht Ihr, die Juden sind auch nicht besser als wir. Die haben kein Recht, uns ständig unsere Vergangenheit vorzuhalten.“ Das ist so eine Art spätes Triumphgefühl. Das setzt sich auch fort. Hinzu kommt ein typisch deutsches Phänomen, Die deutsche Linke ist bei jeder Revolution vorneweg dabei. Hauptsache es spielt sich ein paar tausend Kilometer von zuhause ab. Das ist zum Teil beliebig. Ich habe mitbekommen, daß nach der Abwahl der sandinistischen Regierung die Palästina-Solidaritätsgruppen enormen Zulauf verzeichnet haben, weil die Leute aus den Nicaragua-Gruppen nicht mehr wußten, was sie machen sollten. Dann gibt es noch eine spezifische Motivation, die mir mal eine Bekannte dargelegt hat, die selbst in den besetzten Gebieten war. Demnach sind die Deutschen besonders für das Schicksal der Palästinenser verantwortlich, weil der israelische Staat ohne Schuld der Deutschen angeblich nicht entstanden wäre.

J.B.: Das finde ich nur noch pervers.

Ist für Sie nachvollziehbar, warum von Marokko bis Jordanien die Unterstützung in der Bevölkerung für Saddam Hussein wächst?

A.G.: Es kommt darauf an, wer sich mit ihm solidarisiert. Wenn die Palästinenser jetzt an ihm festhalten, kann ich das bis zu einem gewissen Grad verstehen. Einigen Palästinensern, mit denen ich geredet habe, merkt man diesen Zwiespalt an. Die wissen einerseits genau, was für ein Mensch Saddam ist, andererseits fragen sie sich: Wer steht denn sonst noch auf unserer Seite? Aber oft geht mir das Verständnis für die „arabischen Massen“ ab, das jetzt viele an den Tag legen. Ich fand sehr interessant, wie Enzensberger in seinem 'Spiegel‘-Essay den Vergleich zwischen den arabischen und den deutschen Massen gezogen hat. Diese Bereitschaft, einem Führer zuzujubeln und sich völlig mit einem Menschen, natürlich männlich, zu identifizieren. Für mich sind das faschistoide Tendenzen.

Stimmen Sie der Analogie Saddam-Hitler zu?

J.B.: Ja, es gibt Parallelen. Das stimmt mit einem arabischen Mahdi-Glauben überein, wonach ein Mensch als Erlöser für alle Probleme auftaucht. Noch habe ich allerdings nicht gehört, daß Saddam als Mahdi bezeichnet wurde.

Ich halte solche Analogien für extrem gefährlich. Das trägt meiner Meinung nach zu einer ohnehin schon vorhandenen Ignoranz gegenüber der Situation in den arabischen Ländern bei...

J.B.: Die ist auch eklatant, keine Frage.

Letzte Frage: Sehen Sie momentan eine Möglichkeit, aus dem Golfkrieg herauszukommen?

.B.: Das einzig wichtige für mich ist, daß Saddam Hussein keine militärische Macht mehr hat. Solange er die hat, ist er eine ständige Bedrohung. Egal, wieviele Konferenzen es gibt. Natürlich bin ich dafür, daß man irgendwie zu Verhandlungen kommt. Ich bin auch für Verhandlungen bezüglich der von Israel besetzten Gebiete. Darüber hätte man schon längst verhandeln müssen. Aber nicht, weil Saddam Hussein das fordert. Gespräch: Andrea Böhm

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