Auch Information ist eine Waffe

■ Frankfurter Presseclub diskutierte

Fünf Wochen nach Beginn des Golfkrieges hat die Fernsehberichterstattung nicht nur die eigene Voraussetzung — stets das Neu(est)e zu präsentieren — überreizt und damit aufgezehrt, auch das Wahrnehmungs- und Verarbeitungsvermögen der Zuschauer ist überfordert.

Lange Zeit schien es, als sei die Flut der Sondersendungen und Extraausgaben eine Art präventiver Besetzung der Sendezeit, in der „Betroffenheit“ zugleich stimuliert und sublimiert wird. Die Geschäftigkeit der Fernsehmoderatoren wie die technischen Pannen auf den Schaltstrecken zwischen Hamburg, Köln und Amman bildeten einen seelischen Unterstand im elektronischen Bilderhagel. Der Dauerbeschuß mit wirklichen und Pseudo-Informationen potenzierte die Angst und erlaubte dennoch, sich in ihr häuslich einzurichten. Nur in den allerersten Tagen hielt sich dieses Gleichgewicht des ganz normalen Schreckens nicht die Waage, wog das plötzliche Entsetzen über den Ausbruch des Krieges schwerer als die gleichzeitig verabreichten Beruhigungsmittel der vertrauten Mediensimulation. Ein besonderes Element dieser Simulation trat mit jedem Kriegstag ein Stück mehr in den Vordergurnd: die militärische Zensur und ihr Bruder im Geiste des Ausnahmezustands, die Kriegspropaganda.

Tagelang schien es, als herrschte Waffenpause am Golf, so wenig Informationen drangen aus dem Kampfgebiet. In den Rundfunk- und Fernsehnachrichten wiederholte sich stündlich der Wortlaut vorgestanzter Pseudomeldungen, allenfalls variiert durch mehr oder weniger martialische Bekundungen von Siegeszuversicht. Angesichts der Bilder verbrannter Menschen in Bagdad, erster konkreter Angaben über die Zahl der Opfer und vor der alliierten Bodenoffensive geriet die bis dahin hingenommene militärische Zensur immer stärker ins Zentrum der Kritik. Wilhelm von Sternburg, Chefredakteur des Hessischen Rundfunks, sieht die Militärzensur der USA als politische Waffe. Während einer Diskussion im Frankfurter Presseclub am vergangenen Dienstag abend sagte er, die Wahrheit des Krieges, der Menschenleben und riesige Geldsummen koste, solle nicht ans Licht kommen. Gary Bautell, Chefredakteur der Nachrichtenredaktion von AFN, widersprach. Militärzensur sei eine „ganz normale Sache“. Informationen würden wie Waffen benutzt, deren Geheimhaltung für viele Soldaten lebenswichtig sein könne. Werner Holzer, Chefredakteur der 'Frankfurter Rundschau‘, bezweifelte, ob exakte Informationen des „body count“ die Wahrheit des Krieges enthüllten, ob die Darstellung von Bomben zerfetzter Menschen das geeignete Mittel gegen die aseptischen Videobilder vom Luftkrieg sei.

Es gehe nicht ums Leichenzählen, erwiderte von Sternburg, sondern darum, daß eine politische Elite in den USA, England und Frankreich aufgrund ihrer exklusiven Informationen allein über die Kriegsführung entscheide. Das aber sei „zutiefst undemokratisch, verfassungswidrig und gefährlich“. Der HR-Chefredakteur kritisierte zugleich die „Selbstzensur vieler Journalisten“, die ähnlich wie einige Linksintellektuelle in der BRD mit dem Krieg grundsätzlich einverstanden seien. Auch hätten die Medien versäumt, Politiker wegen Rüstungslieferungen in den Irak „Tag und Nacht zu verfolgen“. Von Sternburg machte jedenfalls deutlich, daß er sich nichts vorzuwerfen habe: „Krieg mit Massenvernichtungsmitteln“ sei kein zulässiges Mittel der Politik.

Werner Holzer, der ebenso wenig wie die Zuhörer fragte, von welchen Massenvernichtungsmitteln Sternburg sprach, prophezeite, daß die heftigste Debatte über Zensur sich in den USA entzünden werde. Auch AFN-Chefredakteur Bautell meinte: „Die Beweise für die Grausamkeit des Krieges werden kommen.“ Gleichwohl kritisierte er die Fixierung auf das unmittelbare Kriegsgeschehen und fragte, warum im deutschen Fernsehen nicht längst ein Porträt über Saddam Hussein gesendet worden sei.

In der Magazinsendung Monitor bewies zur gleichen Zeit Klaus Bednarz, daß es auch professionelle Antikriegspropaganda gibt. Ob moraltriefende Inszenierungen solcher Art allerdings Gegenmittel der Zensur sein können, ist äußerst zweifelhaft. Reinhard Mohr