MONSTER

■ Chomeini als Beleuchtungskörper

Der Titel einer Goya-Zeichnung, Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster, ist zu einem Sinnspruch der Aufklärung geworden: Solange er nur das Licht der Vernunft leuchten läßt, ist der Mensch vor allen Ungeheuern sicher. Solche ehernen Ansichten geraten angesichts von Kriegen, der radikalen Unvernunft, zu der vernünftiges Handeln offenbar unausweichlich führt, ins Wanken. Bis zum 2. August 1990 hielt es ja alle Welt für vernünftig, den Irak mit Waffen zu versorgen, und dieses rastlose rational-geschäftstüchtige Verhalten scheint zu unterstreichen, worauf Peter Sloterdijk kürzlich hingewiesen hat: daß nämlich das Gegenteil der Erkenntnis Goyas ebenfalls richtig ist — auch die Schlaflosigkeit der Vernunft gebiert Ungeheuer. Sowohl die Söhne des Lichts wie die Söhne des Dunkels sind zu Untaten fähig...

Unter dem Titel Chomeini als Beleuchtungskörper ist der Philosoph Vilém Flusser in einem seiner Essays (Nachgeschichten, erschienen im Bollmann-Verlag, Düsseldorf) der Frage nachgegangen: „warum eigentlich in diesem Kampf die Söhne des Lichts die Guten sind?“ Er glaubt, daß unser Vorurteil zugunsten der Söhne des Lichts genetisch vorprogrammiert ist: „Wir sind Tiere, die bei Tageslicht jagen und sammeln. Wären wir Eulen, dann wären die Söhne des Dunklen die Guten. Das Strahlende und Erleuchtete, das Erklärte und Aufgeklärte ist uns Tagtieren gemäß — sogar die Hotels, diese Schlafhöhlen, heißen ,Excelsior‘ statt ,Schwarzes Loch‘. Aber dieses auf unserem Erbgut (oder Erbübel) beruhende Vorurteil zugunsten des Lichts beginnt zu wanken, seit uns Atompilze und Tschernobyle einer strahlenden Zukunft entgegenführen. (...) Die eben erworbenen Informationen über das Strahlen erlauben uns, das Gute und das Böse auf beiden Seiten des manichäistischen Zweikampfs zu sehen. Als die alten Perser noch jung waren, sprachen sie die jetzt mit Mühe rekonstruierte indoeuropäische Sprache. In ihr ist der Wortstamm hl enthalten, aus dem einerseits das Helle und das Heil, andererseits die Höhle und die Hölle entstanden. Die Söhne des Lichts und des Dunkels waren daher ursprünglich Brüder. Chomeini ist nicht genügend ,radikal arisch‘ (sofern mit ,radikal bis zur Wurzel‘, mit ,arisch‘: indoeuropäisch gemeint ist), andernfalls würde er die Satane verschiedener Größe ,Luzifer‘ (Lichtträger) nennen. Sowohl der Prophet (Friede sei mit ihm) als auch der amerikanische Satan (er verschwinde in der Hölle), beide wollen sie ,mehr Licht‘. Chomeini ist noch nicht auf die echten Söhne des Dunkels gestoßen. Aber ihm verdanken wir es, daß sie näher kommen.“

Als Saddam? Gegen Ende des kurzen, 1987 entstandenen Textes heißt es: „Wäre Chomeini nur ein wenig fundamentalistischer, er würde das Schwert des Islam anders schwingen. Nicht gegen Amerika und nicht gegen die Ungläubigen überhaupt — denn das sind jetzt seine ,objektiven‘ Verbündeten —, sondern gegen all jene, welche im Licht das Übel sehen. Das sind keineswegs die Leute, die man einst ,Obskurantisten‘ genannt hat. Im Gegenteil, das sind Leute, die zugleich an der Wissenschaft und am Glauben verzweifeln. Diese Leute sitzen vor den Fernsehkisten und schauen gemütlich zu, wie die Söhne des Lichts gegen die des Dunkels kämpfen. Dann schalten sie die Kisten aus und überlassen sich dem Dunkel. Sie sind existentiell überzeugt — und das ist der wahre Antiglaube —, daß die Große Mutter Nacht größer ist als der Große Gott (Allah hu achbar). Sie werden siegen.“

Sind das wir, an den Fernsehschirmen? „Wir sind im Begriff, ein Monstrum zu gebären. Ob dieses Monstrum ein programmierter Roboter sein wird oder ein Apparate zerstörender Vandale, in beiden Fällen sind es wir selbst, ein Mutant der in uns angelegten Information. Das Neue ist entsetzlich, und wir selbst sind das Neue.“ Um solchen Fatalismus angesichts des Kriegs nicht einfach stehenzulassen, hilft nur, einen von Flussers „Tricks“, die Hinzuziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Klärung ganz anderer Fragen, hemmungslos anzuwenden.

In einem der merkwürdigen Weltbilder, mit denen wir uns nach den Ergebnissen der Quantenphysik abfinden müssen (welches genau unserer Realität entspricht, darüber streiten sich die Physiker noch), in einer dieser möglichen Wirklichkeiten jedenfalls gilt der Satz: „Der Mond ist nicht da, wenn niemand hinsieht.“ Wegen Konsequenzen wie dieser hat Albert Einstein die Quantenphysik nie akzeptieren wollen — eine Maus, meinte er, könne doch wohl nicht darüber entscheiden, ob etwas wie der Mond da ist oder nicht. Doch ist die Quantenphysik bis heute über jeden Zweifel erhaben und die Frage weiter offen, Mäuse oder Menschen als Mondverantwortliche sind nach wie vor mit den naturwissenschaftlichen Gesetzen vereinbar. Zwar steht nach dem Truppenaufmarsch am Golf die Parole „Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ einmal mehr als frommer Wunsch da — im Sinne der Quantenphysik aber könnte eine ganz andere, scheinbar noch viel naivere Parole durchaus realistisch sein: „Der Krieg ist nicht da, wenn niemand hinsieht.“ Wenn wir „gottlosen“ Fernsehzuschauer nicht mehr nach außen gucken, sondern in uns hinein, wo laut Flusser der eigentliche Kampf tobt, könnte das den Krieg tatsächlich beeinflussen? Ich glaube schon. Man stelle sich nur vor, die Generäle der USA und des Irak stünden morgen vor leeren Pressekonferenzen. Die Fernsehstationen, die gerade aus Protest mit der Einstellung der Kriegsberichterstattung drohen, deuten es bereits an: Gegen die Informationskontrolle der Katzen könnte ein Kraut gewachsen sein — die Ereignis-Kontrolle der Mäuse.

CHOMEINIALSBELEUCHTUNGSKÖRPER