Die Hürden des Alltags in Polen

Vom Kindergarten über die Scheidung bis zu Alimenten — die Frauen kommen immer zuletzt  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann Die Landesfrauensektion der Gewerkschaft Solidarność tagte Ende Januar in Warschau. Anschließend veröffentlichte sie ein Kommuniqué, in dem es hieß: „Die derzeitige Wirtschafts- und Sozialpolitik birgt eine ernsthafte Bedrohung für die ganze Gesellschaft, ganz besonders aber für Frauen.“ Deshalb müßten Frauen mehr an der Politik beteiligt werden. „Mit Blick auf die Dominanz der Männer in den Gewerkschaftsorganen auf allen Ebenen fordern wir eine Quotenregelung für den Zugang zu diesen Organen, die im Statut festgelegt sein muß.“ Zugleich forderten die Solidarność-Frauen eine Vertretung im Parlament und ein Frauenministerium: „Mit einem gemeinsamen Ministerium für Familien-, Frauen- und Jugendfragen sind wir nicht einverstanden.“

Die Erklärung löste in Polen bisher keine Reaktion aus, obwohl sich die Frauen damit zum erstenmal innerhalb der Gewerkschaft zu Wort melden. Bisher hatte Solidarność — sowohl als politische Bewegung, wie auch als Gewerkschaft — zwar bekannte Frauen in der Führung (wie etwa 1980 die Werftarbeiterin Anna Walentynowicz, oder bis heute die Ärztin Zofia Kuratowska), doch Frauenpolitik spielte für Solidarność nie eine Rolle. Niemanden störte es, daß in der Gewerkschaft, später auch in Sejm und Senat, fast nur Männer das Sagen hatten. Selbst als im April letzten Jahres beim Zweiten Solidarność-Kongreß eine Erklärung für eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze verabschiedet wurde, gab es keinen Widerspruch von Frauenseite. Erst Tage danach demonstrierten Frauengruppen vor der Warschauer Solidarność-Zentrale.

Daß sich die Frauen jetzt zu Wort melden, ist kein Zufall: Die Wirtschaftskrise trifft sie überdurchschnittlich hart — besonders seit in Polen marktwirtschaftliche Verhältnisse und damit Arbeitslosigkeit herrschen. Bis dahin waren Frauen zwar aufgrund der niedrigen Löhne — ein Lohn allein reichte nicht für eine Familie — gezwungen zu arbeiten, doch wenigstens waren die Kinderkrippen billig.

Inzwischen sind nicht nur die Krippenbeiträge drastisch gestiegen, sondern auch die Arbeitsplätze knapp geworden. Und die Zahl der arbeitslosen Frauen ist wesentlich höher als ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechend: Auf 100 Männer kommen in Polen 105 Frauen, aber bei Massenentlassungen werden pro 100 Männer 138 Frauen entlassen. Unter den arbeitslosen SchulabgängerInnen sind sogar knapp 60 Prozent Frauen. Das liegt unter anderem daran, daß die Wirtschaftskrise besonders Branchen getroffen hat, die traditionell einen hohen Prozentsatz an Frauen beschäftigen, etwa die Textilindustrie. Dort arbeiten auch noch viele Frauen in Nachtarbeit. Entgegen den Gewerkschaftsforderungen haben Polens Regierungen Nachtarbeit bisher nicht verboten. Nur Minderjährige und Schwangere dürfen nachts nicht arbeiten, Mütter mit Kindern unter einem Jahr dürfen nur mit ihrer Zustimmung zur Nachtarbeit eingeteilt werden. Wie lange es Polens umfangreiches soziales Netz, das aus kommunistischen Zeiten stammt, noch geben wird, ist offen — es wird immer schwerer bezahlbar. Schon jetzt machen die Sozialabgaben auf die Löhne 65 Prozent aus, doch die Kassen der Sozial- und Arbeitslosenversicherung sind trotzdem leer. Bisher beträgt der Schwangerschaftsurlaub 16 bis 18 Wochen. Mütter erhalten außerdem zwei Urlaubstage pro Jahr mehr, genießen Kündigungs- und Versetzungsschutz.

Eine Mutter, die mindestens sechs Monate lang gearbeitet hat und ein Kind unter vier Jahren erzieht, hat ein Recht auf einen maximal drei Jahre dauernden Erziehungsurlaub. Das gleiche gilt für den Vater, wenn die Mutter nicht davon Gebrauch macht. Das Erziehungsgeld während des Urlaubs wird aus der Sozialversicherung finanziert. Anschließend hat die Mutter das Recht auf ihren alten Arbeitsplatz. Deshalb werden Frauen inzwischen nur sehr ungern eingestellt.

Auch die Inflation trifft Frauen härter als Männer: Polens Scheidungsrichter verhängen nämlich nur ganz selten prozentuale Alimentszahlungen gegen die Ehemänner. Die Beträge verlieren dann schnell ihren Wert. Das führte dazu, daß geschiedene Frauen bis zu viermal pro Jahr vor den Kadi ziehen müssen, damit die Unterhaltszahlungen auf den aktuellen Stand gebracht werden — ein Problem, das inzwischen zum Teil „gelöst“ wurde, indem man Scheidungen erschwerte: Statt wie bisher vor dem Regionsgericht muß ein Ehepaar seine Scheidungssache nun vor dem nächsthöherem, dem Wojewodschaftsgericht vorbringen. Damit wird der Weg weiter und die Schlange vor dem Richterzimmer länger. Offizielle Begründung: Man wolle so die Scheidungen anonymer machen. Wer sich in der Wojewodschaftsstadt scheiden lasse, gerate nicht so leicht in den Dorfklatsch. Erhoffter Nebeneffekt: Die Zahl der Scheidungen möge zurückgehen.