: „Sag mir, was das für Blumen sind!“
20.000 Petunien als Probelauf des Gentechnik-Gesetzes/ Schwere Formfehler, schlechte Stühle und das alte Oben und Unten ■ Aus Köln Manfred Kriener
Die Premiere war vor allem eines: anstrengend. Acht Stunden lang quälten sich Einwender und Sachverständige im bundesweit ersten Erörterungstermin nach dem neuen Gentechnik-Gesetz. Das Blümchen der Branche, die genmanipulierte Petunie des Kölner Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, wurde bis zur Erschöpfung zerlegt und bis zum letzten Baustein der Erbmasse erörtert. Zu fast mitternächtlicher Stunde mußte das Bundesgesundheitsamt auf einen unbestimmten neuen Termin vertagen. Die Redeschlacht hatte zuvor unübersehbare Formfehler im Genehmigungsverfahren offenbart. Der Streit um die erste bundesdeutsche Freisetzung von genmanipulierten Organismen geht weiter.
Die Sitzordnung hatte hohen symbolischen Gehalt: Auf der Bühne der Aula im Kölner Gymnasium Kreuzgasse saßen vor himmelblauen Theater-Vorhängen im grellen Licht hinter vier Tischreihen die Sachverständigen und Antragsteller, zwei Meter erhöht. Unten im Saale, zu Füßen der Gentechniker, durften es sich die Einwender auf hölzernen Kinoklappstühlen gemütlich machen. „Daraus würde ich noch keine Überlegenheit ableiten wollen, nur weil wir zwei Meter höher sitzen“, versuchte Versammlungsleiter Klaus Wichmann vom Bundesgesundheitsamt die Situation zu retten. Als Zugeständnis wurden für die acht Sprecher der Einwender neue Stühle und Tische herangeschleppt. Der Vorschlag, die Sitzordnung zu tauschen, sprengte indes die amtliche Vorstellungskraft.
So bestimmten die notwendigen Selbstbehauptungskämpfe der acht Sprecher der Einwender, ihr Begehren nach Arbeitsflächen, nach Mikrofonen, vernünftigen Stühlen und gleichberechtigter Sitzordnung, nach dem Recht, sich vorstellen zu dürfen, das Klima. Erst die allmähliche Ermüdung aller Beteiligten dämpfte die Aggressivität im Saal.
Ein zweieinhalbstündiger Streit um die Tagesordnung, die nicht mit den Einwendern abgesprochen worden war, schloß sich nahtlos an die Eröffnung an. Die Einwender wollten ihre formale Kritik an den Anfang der Erörterung stellen und damit die ganze Veranstaltung kippen. Das BGA wollte erst zum Schluß über formale Dinge reden. Am Ende gab es ein gerechtes Remis: Die Tagesordnung blieb offiziell bestehen, aber die formalen Einwendungen wurden dennoch vorab diskutiert — als Teil der Tagesordnungsdebatte.
Hans-Jörg Buhk, bisheriger Leiter der Abteilung Gentechnik im BGA, räumte ein, daß bei den ausgelegten Unterlagen „ein Blatt nicht dabei“ war. Es handelt sich dabei nicht unbedingt um das unwichtigste Stück Papier: Der formelle Antrag („Hiermit beantragen wir die Genehmigung...“ usw.) des Kölner Max- Planck-Instituts fehlte. Für das BGA sind die Unterlagen dennoch „bewertbar und vollständig“, weil aus dem Rest der Papiermasse hervorgehe, wer die Freisetzung beantragt. Für die Frankfurter Rechtsanwältin Ulrike Riedel ist das Verfahren damit beendet: „Datum, Name, Anschrift, Unterschrift, das alles fehlt, und das ist ein schwerer Rechtsbruch.“ Sie beantragte den Abbruch der Erörterung und eine neue vollständige Auslegung der Unterlagen. Der Antrag wurde abgelehnt.
Ebenfalls nicht öffentlich ausgelegt wurden die persönlichen Daten der Kölner Pflanzenschützer. Das BGA pocht auf Datenschutz. Die Einwender winken mit den Rechtsvorschriften, wonach Sachkunde und Zuverlässigkeit der Forscher durch deren persönliche Daten ausgewiesen sein müssen.
Besonders heftig wurde über die englischsprachigen Aufsätze in den Unterlagen der Antragsteller gestritten. „Die Amtssprache ist deutsch“, heißt die knappe Position der Einwender. „Die Wissenschaftssprache ist englisch“ konterte Vorsitzender Wichmann. Rechtsanwältin Riedel beruft sich auf das Verwaltungsverfahrensgesetz, wonach für alle fremdsprachigen Texte autorisierte Übersetzungen vorzulegen seien. Und die fehlen. Kritiker Joachim Spangenberg sieht deshalb alle Nicht-Angelsachsen von dem Verfahren ausgeschlossen.
Abgerundet wird die Palette formaler Fehler durch das vom BGA offen eingestandene Versäumnis, die ausgelegten Unterlagen nicht mit Seitenzahlen durchnumeriert zu haben. Um sich zu verständigen, wer sich im Antragsdickicht gerade wo befindet, mußte man sich mit „Römisch eins“, „Römisch zwei“ und Kapitelüberschriften behelfen.
Vehement trugen anschließend Beatrix Tapesser (Öko-Institut Freiburg) und Katrin Grüber (Grüne NRW) ihre inhaltlichen Einwendungen vor. Der überzeugendste Einwand galt der Sinnhaftigkeit des Experiments. Die Kölner Pflanzenzüchter wollen prüfen, wie sich die genmanipulierten Petunien „unter Umwelteinflüssen“ verhalten. Konkret: Welche Faktoren können dazu führen, daß das neu eingeschleuste Mais-Gen, das die Farbe der Balkonpflanze verändert, wieder „abgeschaltet“ wird. Die Faktoren bleiben allerdings unbestimmt. Lichtintensität, Temperatur, Wind, Luftfeuchte, Niederschlag, Mikroklima, Smog? Wer weiß am Ende, welche Faktoren für den Gen-Absturz verantwortlich sind? Während die Kölner Forscher gerade die unklare Situation zu reizen scheint, werfen ihnen die Einwender vor, daß sie „einfach mal gucken was rauskommt, und das ist keine Wissenschaft“.
Blieb als wichtiger Einwand noch die Antibiotikaresistenz, die zusammen mit dem neuen Farb-Gen aus technischen Gründen in die Petunien eingebaut wird. Zentrale Frage: Kann sich diese Antibiotikaresistenz unkontrolliert ausbreiten? Einen horizontalen Gentransfer von den Petunien auf Bodenorganismen können BGA und die Kölner Forscher nicht ausschließen. Aber Antibiotikaresistenzen seien ohnehin in allen Bodenproben bereits festgestellt worden. Schlimmstenfalls gebe es also eine „Frequenzerhöhung“.
Ganze fünf Stunden sollte nach dem ursprünglichen BGA-Zeitplan die gesamte Petunienerörterung dauern. Acht Stunden brauchte am Dienstag allein der erste Teil. Fortsetzung folgt.
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