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Was Cäsar Brutus, sind Özal die türkischen Fundamentalisten

Die Kandidatur der Ehefrau des Staatspräsidenten für den Vorsitz der „Mutterlandspartei“ spaltet die türkische Regierung  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Dallas-like flimmerten die Bilder über den Bildschirm. Der kleine, dicke Herrscher der Dynastie sprach mit bitterbösem Blick: „Auch du, Brutus. Meine Mutter hat dich großgezogen. Meine Frau und ich haben dich mit Studiengeld unterstützt.“ Der Urheber der Worte war jedoch nicht J.R., sondern Turgut Özal, Staatspräsident der Türkischen Republik. Eilig hatte er eine Pressekonferenz einberufen um seinen Unmut über vier Minister kundzutun. Die Minister hatten gegen eine Kandidatur von Turgut Özals Ehefrau Semra Özal für den Istanbuler Stadtverbandsvorsitz der „Mutterlandspartei“ protestiert.

Am härtesten traf es Verteidigungsminister Hüsnü Dogan, den Neffen der Familie Özal. Die Waise Dogan, der sich die Familie Özal in Kindesjahren annahm, war schließlich Jahrzehnte getreuer Gefolgsmann des autokratisch regierenden Staatspräsidenten. Heute ist er „Brutus“, der Verräter.

Seit Semra Özals Ankündigung vor einer Woche, für das höchste Parteiamt in Istanbul zu kandidieren, ist in der regierenden Mutterlandspartei ein erbitterter Kampf ausgebrochen. Im Izmirer Vorstand der Partei gab es sogar eine regelrechte Prügelei zwischen Anhängern und Gegnern von Semra Özal.

Für ihre Anhänger ist die First Lady „die Mutter der Türkei und die Mutter der Mutterlandspartei.“ Staatspräsident Özal wühlt eifrig im innerparteilichen Zwist mit. Die Kandidatur seiner Ehefrau sei im Familienrat abgesprochen worden, betonte Özal in seiner Fernsehansprache. Die Auffassung, daß die Ehefrau des Staatspräsidenten sich in ihrer sozialen und politischen Tätigkeit zurückhalten muß, entspreche der Auffassung der „vorislamischen Cahiliyya, die die Frauen verachtet“. Ein härteres Wort kann man kaum für die eigenen Minister gebrauchen: Cahiliyya — die vorislamische Barbarei.

Die vier verfemten Minister hatten zuvor unter den Ortsvereinsvorsitzenden Istanbuls Intrigen gesponnen, um Semra Özals Auftritte in Istanbul zu boykottieren. Von den 25 Ortsvereinsvorsitzenden Istanbuls kamen gerade fünf zu einem Essen, das Semra Özal vergangene Woche im Istanbuler Hotel „The Marmara“ gab. Von den 43 reservierten Plätzen blieben viele leer. „Ich werde es denen schon zeigen“, zürnte Semra Özal.

Das im Fernsehen ausgetragene Familiendrama und der erbitterte Kampf innerhalb der Regierungspartei schockte die Oppositionsparteien. „Sie haben aus dem Rechtsstaat einen Stammes- und Familienstaat gemacht. Das ist der Gipfel der Schamlosigkeit“, sagte Süleyman Demirel, Vorsitzender der konservativen „Partei des rechten Weges“. Die Sozialdemokraten sorgten sich um den Geisteszustand von Staatspräsident Özal.

Doch hinter den Kulissen des Familiendramas geht es um einen handfesten politischen Konflikt zwischen Özal und entscheidenden Teilen der regierenden Mutterlandspartei. Der Verteidigungsminister Hüsnü Dogan, der Innenminister Abdülkadir Aksu und die Staatsminister Mehmet Kececiler und Cemil Cicek gehören zum konservativen, islamisch- fundamentalistischen Flügel der Partei. Sie haben den Parteiapparat aufgebaut und in den vergangenen Jahren systematisch ihre Anhänger in wichtige Positionen gehievt. Liberalere Kreise in der Partei wurden politisch ausgeschaltet.

Dieser konservative Teil des Parteiapparates verhindert die Reformen, die Staatspräsident Özal anvisiert hat. Um den konservativ- fundamentalistischen Flügel in seine Schranken zu weisen, liefert Ehefrau Semra genau den richtigen Zündstoff. Schon immer war die Lady, die — trotz Ehemann in Amt und Würden — in Pelzmänteln einer Modezeitschrift Modell steht, den Konservativen ein Dorn im Auge.

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