Showdown der tönernen Giganten

Jelzin fordert im sowjetischen Fernsehen den Rücktritt Gorbatschows/ „Mein persönlicher Fehler war, dem Präsidenten zu sehr zu vertrauen“/ Hitzige Kritik der Konservativen/ Oberster Sowjet der UdSSR fordert Mißtrauensvotum gegen Jelzin  ■ Aus Moskau Klaus-H. Donath

„Ich distanziere mich von der Position und der Politik Gorbatschows und fordere seinen sofortigen Rücktritt sowie die Übergabe der Macht an den Föderationsrat als kollektives Organ“. Mit diesem Statement, verlesen im zentralen sowjetischen Fernsehen nach einem fünfzigminütigem Interview, trat der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Russischen Föderation (RSFSR) und ärgste Widersacher Gorbatschows, Boris Jelzin, eine Lawine der Empörung los. Zugleich machte er damit deutlich, was eigentlich schon alle wußten: Die Führungsfigur der größten Republik hat jegliche Hoffnungen auf einen Kompromiß mit Gorbatschow aufgegeben.

Die nicht zu den blitzschnellen Medien zählende Parteizeitung 'Prawda‘ präsentierte bereits wenige Stunden nach der Sendung zwei wutschnaubende Artikel und eine Resolution der Moskauer Parteiorganisation der KPdSU, die Jelzin einer „unzulässigen Eskalation der Spannungen“ bezichtigte. „Boris Jelzin“, so der Kommentar der 'Prawda‘, „gebraucht alle ihm zu Gebote stehenden Mittel, um seine persönlichen Ambitionen zu erreichen, die nichts mit Demokratie und Perestroika zu tun haben“. Statt sich um Ausgleich mit dem Zentrum zu bemühen, fordere er zum Bürgerkrieg auf. Doch die „Stunde X des Boris Jelzin“ stünde bevor, auch sein Stern sei am Sinken.

Das zentrale Fernsehen unterbrach sogar sein normales Programm, um die Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR zu übertragen, der sich auch mit dem „Fall Jelzin“ befaßte. Die konservative Mehrheit des Unionsparlaments richtete ad hoc eine Arbeitsgruppe ein, die einen Mißtrauensantrag gegen den russischen Präsidenten formulieren soll, den sie dem Parlament der RSFSR zur Abstimmung vorlegen will. Besonders aggressiv reagierten die Deputierten der konservativen Gruppe „Sojus“. „Mit dieser Rede“, so zeterte der Abgeordnete Tschekojew, „hat Jelzin den Beginn des Bürgerkrieges verkündet“. Von den Vertretern der oppositionellen Interregionalen Deputiertengruppe ergriff keiner das Wort.

Seit Wochen hatte sich Jelzin um einen Fernsehauftritt bemüht. Denn als einzige Republik verfügt die RSFSR über keinen eigenen Sendekanal. Aber das zentrale Fernsehen unter seinem neuen konservativen Direktor Leonid Krawtschenko hatte ihm den Auftritt verweigert. Der sonst eher lockere und joviale Politiker Jelzin machte einen müden und sehr verbitterten Eindruck. Seine persönliche Verletztheit war deutlich zu spüren. Über sein Verhältnis zu Gorbatschow meinte er: „Ich glaube, es war mein persönlicher Fehler, dem Präsidenten zu sehr zu vertrauen“. Statt nach vorne zu weisen und sich als glaubwürdige Alternative zum jetzigen Präsidenten zu empfehlen, klagte er häufig über die Störmanöver des Zentrums und rührte die Mitleidstrommel. Nicht sonderlich geschickt beantwortete er die Fragen nach eigenen Versäumnissen mit den Fehlern der Unionsregierung. Die Preisreform, die am Dienstag den Obersten Sowjet passierte, verwarf Jelzin ganz und gar: „Die Regierung geht die Reformen auf alten Wegen an. Ich glaube, diese Reform wird in eine Sackgasse führen und dazu, daß die Hersteller kein Interesse an Qualität und Menge zeigen werden und der Lebensstandard der Bevölkerung fällt“.

Mehrfach warf Jelzin Gorbatschow vor, den Weg in die Diktatur zu ebnen und das Volk zu betrügen. Bevor er unkonzentriert und stolpernd seinen vorbereiteten Text verlas, wandte er sich noch einmal fast flehentlich an das Volk: „Ich habe meine Wahl getroffen (...) Ich möchte, daß Sie mich hören und verstehen. Ich habe meine Wahl getroffen und werde diesen Weg nicht verlassen. Ich glaube (...) an die Unterstützung der Völker Rußlands und Ihre Unterstützung, und ich hoffe darauf“.

Obwohl Jelzin das Zeug zu einem guten Volksschauspieler mitbringt, dies war mehr als nur Theater.