Berlinförderung fällt bis 1994

■ Finanzminister Waigels Pläne zum stufenweisen Abbau der Zonenrand- und Berlinförderung wurden gestern dem Kabinett vorgelegt/ Berlin protestiert

Überraschend für Berlin ist nur noch das Tempo: In der gestrigen Kabinettssitzung wurden Finanzminister Waigels Pläne zur Kürzung der Zonenrand- und Berlinförderung vorgestellt, die bereits seit Monaten die Berliner Gerüchteküche anheizen. Nach dem Entwurf Waigels soll die achtprozentige sogenannte Berlinzulage — ehemals als Ausgleich für die Arbeitnehmer in der Mauerstadt geschaffen, um Standortnachteile und höhere Lebenshaltungskosten aufzufangen — bereits ab 1. Juli dieses Jahres in vier Stufen bis Ende 1994 abgebaut werden. Bis zu diesem Zeitpunkt will der Finanzminister die Berlinförderung gänzlich abschaffen. Darunter fällt ein Wust von teilweise berüchtigten Förder- und Subventionsinstrumenten sowie steuerlicher Begünstigungen für Arbeitnehmer und Unternehmen im ehemaligen West-Berlin, die nach Waigels Ansicht ihre Berechtigung verloren haben. Drastisch zurückgefahren werden soll die „steuerliche Hersteller-Präferenz“ für Produkte aus West-Berlin, ganz wegfallen soll ab 1. Juli 1991 die Abnehmerpräferenz bei der Umsatzsteuer.

In Berlin reagierte man gestern prompt: Der Regierende Bürgermeister Diepgen wies die Bonner Beschlüsse als „unakzeptabel“ zurück. Zum ersten Mal drohte der Regierungschef in Richtung Bonn: „Der Berliner Senat sieht sich notfalls veranlaßt, seine Unterstützung für das gesamte Steuer- und Finanzpaket in Frage zu stellen.“ Die Berliner Positionen zu den Bonner Sparplänen sind seit Monaten bekannt und werden bei jeder neuen Hiobsbotschaft aus Bonn vorgetragen: Einig ist man sich über fast alle Parteigrenzen hinweg bis in die Gewerkschaften und Arbeitgeber hinein, daß die Berlinförderung innerhalb von sieben Jahren abgebaut werden müsse. Die Gerüchte über die Kürzung der Berlinförderung haben bereits in den letzten Wochen Wirkung gezeigt. So reagierte die Stuttgarter Firma SEL mit einer drohenden Kündigung von 2.700 Mitarbeitern. Andere Unternehmen, so fürchten IG Metall und IG Chemie, werden nachziehen. 30.000 bis 50.000 Arbeitsplätze in West-Berlin seien gefährdet, schätzen die Gewerkschaften.

Die Berliner CDU ist jetzt in einer prekären Situation: Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, dessen Partei im Westteil der Stadt vor allem deshalb gewählt wurde, weil man der CDU mehr Sachverstand im Umgang mit den schmalen Berliner Finanzen zutraute, muß die Wählerhoffnungen enttäuschen. Auch der Regierungswechsel von Rot-Grün zur CDU-geführten großen Koalition hat für Berlin bisher nichts bewirkt; die Bonner Parteifreunde von Eberhard Diepgen und seinem Finanzsenator Elmar Pieroth zeigen sich ebenso unnachgiebig wie beim alten Senat. Die CDU steht jetzt vor dem Problem, den Berliner Arbeitnehmern erklären zu müssen, warum sie bereits in diesem Jahr erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Die Arbeitgeberverbände in Berlin haben gegenüber den Gewerkschaften bereits erkennen lassen, daß sie einem raschen tariflichen Ausgleich ablehnend gegenüberstehen. Dem kleineren Koalitionspartner SPD sind die Hände gebunden: Zwar empört man sich hinter verschlossenen Türen über die Wirkungslosigkeit der CDU-Politik, dieser Empörung freien Lauf lassen kann man in der Öffentlichkeit jedoch nicht. Die Notlage der Stadt ist die neue Begründung für die Elefantenhochzeit, jeden Versuch auszuscheren, fürchten die Sozialdemokraten, werde ihre vernichtende Wahlniederlage beim nächsten Mal vielleicht noch schlimmer ausfallen lassen. Kordula Doerfler