Echt Ost auf Westterrain

■ Nicht nur in Ostbezirken, sondern auch in Kreuzberg werden original Ostlebensmittel verkauft/ Selbst die legendäre Club-Cola ist zu haben

Kreuzberg. Wer die vier Verkaufsstände in Hellersdorf, Marzahn und Hohenschönhausen, die fast ausschließlich Lebensmittel ostdeutscher Produktion anbieten, betrachtet, wundert sich nicht. Vielleicht denkt er oder sie, da werde ein kleines Stückchen DDR-Identität bewahrt. Doch seit Dezember des vergangenen Jahres gibt es auch in der Kreuzberger Oranienstraße — und damit auf ehemaligem Westterrain — einen Laden, dessen Sortiment fast ausschließlich aus Ostwaren besteht. Die Idee dazu — die Stände in den aufgezählten Oststadtbezirken gehören zur gleichen Kette — kam Siegfried Schneider und seinen 14 Mitarbeitern im Sommer 1990, als ein Betrieb nach dem anderen über den Jordan ging. »Doch nicht alle Produkte waren und sind schlecht«, sagt der ehemalige Grenzsoldat Schneider. Mit ihrem Projekt wollen die 15 Neu-Unternehmer DDR-Produkte retten und damit DDR-Betriebe unterstützen.

In den zwei Monaten seines Bestehens ist das Geschäft bereits zu einiger Berühmtheit gelangt, das neue Unternehmermodell mit altbekannter Ware lockt die interessierte Öffentlichkeit — während des Besuches der taz wuselt auch ein Redakteur des Kölner Magazins 'Wirtschaft aktiv‘ durch den kleinen Verkaufsraum, baut sein Fotostativ auf, hält das Treiben im Laden fest. Nach einem recht bescheidenen Anfang geben sich heute, berichtet Schneider, die Leute die Klinke in die Hand. Und das, obwohl sich das Geschäft nicht gerade in einer Verkaufsgegend befindet. Es gibt schon einige Stammkunden, aber überwiegend handelt es sich um Laufkundschaft. Dabei mußten die Mitarbeiter aus finanziellen Gründen auf eigene Werbung verzichten. Ihr Ziel war, die Produkte statt dessen lieber zu den ursprünglichen Preisen anzubieten. Und das machen sie auch. Getränke wie die legendäre und nur im Land der Trabi-Fahrer konsumierte Club- Cola, Konfitüren und die Obst- und Gemüsekonserven kosten soviel wie früher, teurer sind dagegen die Brotwaren. Wer jedoch nach Biowaren sucht, wird hier enttäuscht. Die waren auch schon in der alten DDR rar.

Für das Obst- und Gemüseangebot mußte der Laden einige Zukäufe machen, um das Angebot vielfältig zu gestalten. Denn »Apfelsinen und Bananen wollen in Deutschland einfach nicht wachsen«, hat Siegfried Schneider erkannt. Diese Früchte sollen aber auch die einzigen Zukäufe bleiben. Hofft man. Denn ob sie im Frühjahr Erdbeeren und Kirschen aus ehemaligen DDR-Genossenschaften anbieten können, steht noch in den Sternen.

Die Kundschaft ist bunt gemischt, kommt aus Ost und aus West. Die Westler kommen überwiegend aus reiner Neugierde. Die Ostler hingegen freuen sich, Produkte kaufen zu können, die sie kennen, die aber in den Regalen der neu entstandenen Supermärkte nie aufgetaucht sind. »Endlich mal wieder ganz normales Stachelbeerkompott«, meinte gestern eine Kundin.

Schwierigkeiten, auch in Zukunft ehemalige DDR-Produkte anzubieten, sieht Siegfried Schneider nicht. Er hofft, daß die Produkte von jetzt pleite gehenden Betrieben auch dann noch hergestellt und vertrieben werden, wenn neue Besitzer über die alten VEB und LPG entscheiden. Ein anderes Problem scheint hingegen sicher: Die Oranienburger Straße wird rekonstruiert und deshalb muß der Laden demnächst dichtmachen. Und bisher sind noch keine neuen Räumlichkeiten gefunden worden. Katrin Scholz