Dies ist ein Meinungsüberfall!

■ Ein taz-Forum über Golfkrieg und Zensur in der »Wabe« im Ernst-Thälmann-Park

Eine Zensur findet nicht statt. Höchstens anderswo. Genauso wie Krieg am besten immer woanders stattfindet. Und zwar mit Zensur, denn so funktioniert er besser. Eine Podiumsdiskussion zum Thema »Zensur: Der Golfkrieg und die Medien« veranstaltete am Mittwoch die taz. Im Kulturhaus »Wabe« diskutierten: die FU-Soziologin Geburg Treusch-Dieter, taz-Redakteurin Nina Corsten, der freie Journalist Claus Koch, SFB-Chefredakteur Peter Pistorius, DFF- Chefredakteur Alfred Roesler-Kleint und der Exil-Iraker Talat.

Zensur — da stellt man sich oft noch ganz altmodisch den im Hintergrund lauernden Mann mit der Schere vor. »Ich habe keinen Chefredakteur, der mir Vorschriften macht, ich arbeite in einem Kollektivprojekt«, behauptete taz-Nahost-Redakteurin Nina Corsten gleich zu Beginn zur Entlastung — obwohl ihr Kollege, der freie Journalist Claus Koch, gerade betont hatte, daß »es um mehr geht als schnippelnde Chefredakteure«. Aber man saß ja schließlich mit zwei leibhaftigen Chefredakteuren beisammen. Zwar sprach Corsten von einem »Modernisierungsschub in der Zensur«, der nun direkt am Zugang zu den Nachrichten ansetze, diesen verenge und nur noch »einen dünnen Strom von Nachrichten und Nachrichten-Fakes« durchlasse. Doch hatte Koch zuvor ausführlich geschildert, daß die Medien keineswegs nur unter einer systematischen Öffentlichkeitstrategie der nordamerikanischen Militärs zu »leiden« haben, sondern selbst der »Kriegslogik« über Monate folgten.

Erst seit kurzem, seit ihre Informationen durch den Verlauf des Krieges an Glaubwürdigkeit verlören, thematisierten die Medien ihre eigene Situation. Die Führung der Öffentlichkeit, so Koch, sei ebenso systematisch gewesen wie die Kriegführung. Zunächst sei der Krieg ganz im Sinne der US-Regierung als Polizei- und Strafaktion dargestellt worden, nicht als ein Krieg, in dem sich eine Nation tatsächlich befindet. Dann habe eine langsame Gewöhnung an einen eher längeren Clausewitzschen Krieg eingesetzt, abgefedert durch die Videospiel-Bilder in Echtzeit-Darstellung. Wir hätten es nicht mit einer plötzlich »auftauchenden« Form von Zensur zu tun, so Koch, die Beschränkung des journalistischen Zugangs in »Pools« sei bereits im Falkland- und Grenadakrieg erprobt worden.

Auf die Auswirkungen der Zensur in der täglichen Arbeit angesprochen, sprach taz-Corsten von einem verstärkten »quellenkritischen Umgang«. Worauf der Exil-Iraker Talat recht ungehalten reagierte und den Krieg selbst, die Bomben zurück in die Debatte brachte: Der Begriff Zensur reiche überhaupt nicht hin. Die Journalisten, die nun versuchten, über die Situation im bombardierten Irak zu berichten, hätten, obwohl sie diese leicht haben könnten, kaum Kenntnis über das Land, die Städte, die Bauweise der Häuser. Wenn sie wüßten, wie die Häuser im Irak gebaut sind, könnten sie sich problemlos ausmalen, wie schnell diese zusammenfallen müssen, selbst wenn in großer Entfernung eine Bombe explodiert. Aber was noch schlimmer sei als solche Unkenntnis: sie interessierten sich auch nicht dafür. Eine Rakete auf Israel sei immer etwas anderes als 100 Tonnen Bomben auf den Irak. Grundsätzlich würden nur Dinge gesendet, die BRD-Konsens seien, die Iraker in Deutschland würden erst seit Ausbruch des Krieges befragt, Anti-Kriegs-Statements von Oppositionellen würden aus Interviews herausgeschnitten, weil sie nicht in das Konzept paßten. »Aber wir wollen nicht über die Leichen unserer Schwestern und Brüder in einen freien Irak zurückkehren.«

Peter Pistorius, Chefredakteur des SFB-Hörfunks, ging auch lieber gleich in die Offensive — schließlich war er der einzige Journalist aus der Podiumsrunde, dessen eigene Zensur an der Heimatfront öffentlich geworden war. Er hatte Kolumnen und Satire schon vor Wochen von der Welle gekippt, der Kabarettist Martin Buchholz war vom SFB gefeuert worden. »Ich will nicht in Sack und Asche gehen«, meinte Pistorius. Er frage sich, was dem Publikum entgehe, wenn es die Toten nicht sehe, wenn die Menge der Toten nicht gezeigt werde. Man sehe doch auch Horror- und Kriegsfilme und könne sich dann so seine Vorstellungen machen. Er jedenfalls komme mit der Zensur des Militärs zurecht, komme ohne Frontberichte aus dem Schützengraben aus. »Ich kann damit fertig werden, man erfährt auch von den Politikern einiges.«

Über Diskussionen innerhalb des SFB über die Zensur und den Umgang damit erfuhr man von Pistorius gar nichts: Ein internes Zensurproblem gebe es nicht. Man habe sich instrumentell mit dem »Abziehen« und Hin- und Herschicken von Korrespondenten auf den Krieg vorbereitet, aber erst spät erkannt, welche schweren Einschränkungen es gebe. »Man schöpft die Quellen aus, die man hat.« Zum Fall Buchholz sagte Pistorius, daß die ZuhörerInnen in politischen Magazinen nicht mit Satire und mit einer Meinung, die möglicherweise nicht die ihre und auch nicht die der Mehrheit wäre, überfallen werden dürften. Von Journalisten könnte man nicht erwarten, »daß sie sich ständig solidarisieren und mitleiden«.

Auch die Thesen der Soziologin Gerburg Treusch-Dieter brachten die Diskutanten nicht dazu, miteinander über die interne Selbstzensur der Medien zu reden. »Das Medium und die Sachzwänge zensieren schon mit«, fand schließlich Treusch-Dieter. Von Alfred Roesler-Kleint, Chefredakteur des DFF, hörte man eher Rührseliges zur »Perversion der Kriegsberichterstattung« und zum Mitgefühl, das auch rübergebracht werden müßte. Koch sprach von der journalistischen Freiheit, die die kleine Einschaltquote des Hörfunk- Kulturprogramms ihm biete: »Ich kann alles machen«, beglückwünschte er sich selbst. Nina Corsten lieferte allzu kurze Einblicke in die Streitigkeiten zwischen den Meinungsführern der taz aus der eher germano-zentristischen Inlandsredaktion und der fachlich eigentlich zuständigen Auslandsredaktion. So sei dem Korrespondenten der taz in Bagdad vorgeworfen worden, er berichte zu proirakisch. Aber wer, wo, was, wie in der taz zensiert, das sagte auch Corsten nicht genau.

Genau wie die Kollegen Chefredakteure. Überhaupt, so Corsten, könne eine Tageszeitung nur beschränkt Hintergrund liefern, dazu gebe es Bücher mit Fachliteratur. Einem arabischen Mann aus dem Publikum, der sich darüber beschwerte, daß zwei Redakteure der taz seine Informationen aus den besetzten Gebieten, aus Amman und Irak nicht haben wollten, sagte die taz-Redakteurin: »Da sind sie leider falsch verbunden worden, da wäre die Auslandsredaktion zuständig gewesen.«

Das Publikum sprach an, wie aus nicht-oppositionellen Irakern in den Medien oppositionelle werden, wie ignorant die Medien mit möglichen zusätzlichen Informationen von Kurzwellenfunkern umgingen, wie Nahostexperten kurz vor der Sendung ausgeladen werden, wie wenig Chancen indische und pakistanische — d.h. dunkelhäutige — KorrespondentInnen hätten, aus dem Kriegsbebiet zu berichten.

Gerburg Treusch-Dieter plädierte hingegen für ein »selbständiges Lesen von Nachrichten«. Vor allem müsse man auch »die Lücken lesen«. Sie warnte vor einer Selbstinfantilisierung des konsumierenden Publikums. Authentizität und 1:1-Wahrnehmung seien eine Fiktion. Im übrigen zensiere die Sprache selbst immer schon mit, in dem sie das Grauen nicht mehr adäquat benennen könne. Im Zeitalter nicht mehr selbst wahrnehmbarer Bedrohungen wie etwa durch die Radioaktivität, die beim Bombardement mehrerer Reaktoren bereits wieder in unvorstellbarem Maße freigeworden wäre, solle die RezipientIn selbst »entscheiden, wann die eigenen Sinne eingesetzt werden müssen«. An Möglichkeiten, selbst zu denken, fehle es jedenfalls nicht. Hans-Hermann Kotte