»Ein Rektor darf keine Schmerzgrenze haben«

■ Senat setzte sich gegen den Willen der Humboldt-Universität durch/ Abwicklung inzwischen von vielen Mitarbeitern akzeptiert/ Rektor will die Auseinandersetzung um die Vergangenheit mit der konsequenten Einzelfallprüfung fortsetzen

Mitte. Er habe schon viele Nackenschläge einstecken müssen, sagte der Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, nach der Urteilsverkündung. Der Staat hat sich durchgesetzt gegen den Willen der Humboldt-Uni, den Weg der Erneuerung selbständig und von innen heraus zu beschreiten. Die Klage der Uni gegen die Entscheidung der Landesregierung, fünf Fachbereiche abzuwickeln, wurde zurückgewiesen. Die Hochschule muß laut Richterspruch die Bereiche Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, Pädagogik, Geschichte und Philosophie auflösen. Auch diesen Nackenschlag wird Fink ertragen, denn als Rektor »darf man keine Schmerzgrenze haben«, verkündete er trotzig. Diese Verhandlung, so Fink, sei für ihn auch ein Lehrstück über den Rechtsstaat, in dem er nun angekommen sei.

Die Humboldt-Uni konnte mit keinem ihrer Argumente gegen die Abwicklung überzeugen. Das Gericht wies deren Auffassung zurück, daß mit den beiden Mantelgesetzen, mit denen Westberliner Recht auf Ost-Berlin »erstreckt« worden ist, die Regierung bereits über Abwicklung oder Überführung entschieden habe. Im Mantelgesetz erhält die Humboldt-Uni den Status einer Kuratorialhochschule. So habe sie Autonomierechte für sich geltend machen können, was die strukturellen und personellen Veränderungen der Uni betraf, so Rechtsanwalt Reiner Geulen. In das Selbstverwaltungsrecht habe die Entscheidung des Senates unzulässig eingegriffen.

Die Landesregierung, begründete das Gericht sein Urteil, habe sich bei ihrer Entscheidung innerhalb der »weiten Grenzen ihres Ermessens« bewegt. Sie sei in den Mantelgesetzen von einer noch zu treffenden Entscheidung über Überführung oder Abwicklung ausgegangen. Auf die fehlende Anhörung verwiesen, gestand der Senatsvertreter, es sei »wohl nicht alles vorbildlich gelaufen«, aber auch das änderte nichts daran, daß sie schließlich Recht bekommen hat. Auch das willkürliche Vorgehen der Landesregierung bei der Auswahl der abzuwickelnden Fachbereiche, weil sie besonders ideologisch belastet seien, wurde abgeschmettert. Für das Gericht war es durchaus nachzuvollziehen, daß es gerade jene geisteswissenschaftlichen Fachbereiche treffen sollte.

Vor allem an diesem Punkt setzte Finks Kritik gegen die Senatsentscheidung an. Es tut ihm leid, daß nicht begriffen wird, daß es ihm um eine Erneuerung mit »Haut und Haaren« und »mit den vorhandenen Menschen« geht. Auch viele Mitarbeiter der Uni scheinen das nicht begriffen zu haben. Resigniert befürworteten sie, endlich abzuwickeln, damit es irgendwie weitergeht.

Denn der Einzelfallprüfung, die sich die Uni zur personellen Reformierung verordnet hatte, müßte sich jeder Mitarbeiter stellen. Vor allem in den naturwissenschaftlichen Bereichen wehren sich Professoren und Dozenten hartnäckig gegen dieses Verfahren. Wer sollte sich schon anmaßen, sinniert ein Ökonomie-Student über die Schwierigkeiten der Vergangenheitsbewältigung, dem anderen zu sagen, daß er gehen muß. Jetzt kann sich die Masse dieser Auseinandersetzung entziehen, nur die 1.500 betroffenen Wissenschaftler erhalten ihre Entlassungsbriefe.

Der begonnene Reformprozeß soll nach Finks Meinung jedoch nicht unterbrochen werden. Trotz Abwicklung werden die Personalstrukturkommissionen weiterarbeiten. Es wird genügend Mitarbeiter geben, die die Legitimation dieser Einrichtung bezweifeln und sich weigern, vor diese Kommissionen zu treten. Doch dieser vom Konzil beschlossene Weg, sich mit der Vergangenheit jedes einzelnen Wissenschaftlers und der Instrumentalisierung seiner Arbeit auseinanderzusetzen, ist die einzige Möglichkeit, konsequent über die letzten 40 Jahre Uni- Geschichte nachzudenken.

Auch die Zukunft der Uni scheint ihr nicht ganz aus der Hand genommen zu sein. Überraschend kündigte der Senatsvertreter Hempel während der Verhandlung an, daß die Entscheidungen über die künftigen Fachbereiche beim noch zu wählenden Kuratorium der Universität liegen. Bis dahin diene der Vorschlag der Landesregierung, die Fachbereiche Staatswissenschaften, Philosophie und Sozialwissenschaften und Pädagogik einzurichten, nur dazu, den Planungsprozeß in Gang zu bringen. So bleibt der Uni die Hoffnung, sich tatsächlich in den Neuaufbau dieser Bereiche einzubringen. Allerdings steht dem Senat auch genügend Zeit zur Verfügung, in der er freie Hand hat, gewisse Grundsatzentscheidungen für die nächsten Jahre zu treffen. Anja Baum