Bonner Rotstiftexperten schlagen zu

■ Die Berlinförderung wird bis 1994 abgebaut/ 1990 betrug das gesamte Fördervolumen rund neun Milliarden Mark/ Die Hauptverlierer der deutschen Einigung sind die Berliner Arbeitnehmer

Berlin. Die Bonner Rotstiftexperten leisteten gründliche Arbeit. Bis Ende 1994 werden die Arbeitnehmerzulagen und alle sonstigen Steuervergünstigungen in Berlin abgebaut. Für jeden Lohn- und Gehaltsempfänger am spürbarsten geholzt wird bei der Arbeitnehmerzulage.

Arbeitnehmerzulage. Sie betrug im vergangenen Jahr insgesamt drei Milliarden Mark. Bisher erhielten Westberliner auf ihren Arbeitslohn eine steuerfreie Zulage in Höhe von acht Prozent des Bruttolohnes und einen Kinderzuschlag von 49,50 Mark pro Kind und Monat. Ab 1. Juli sinkt die Zulage auf sechs Prozent, der Kinderzuschlag auf 39,60 Mark. 1992 erhalten die Arbeitnehmer nur noch fünf, 1993 vier und 1994 letztmalig zusätzlich zwei Prozent. Das Kindergeld reduziert sich 1992 auf 29,70 Mark, 1993 auf 19,80 und 1994 auf 9,90 Mark.

Sollten die Einkommenseinbußen durch Tarifverträge ausgeglichen werden, müßten die Gewerkschaften, einschließlich Inflationsausgleich und Produktivitätszuwächse eine zweistellige Lohnerhöhung fordern. Der DGB hat bereits »harte« Tarifverhandlungen angekündigt.

Direkt betroffen werden die Arbeitnehmer auch durch die Kürzung der Lohn- bzw. Einkommenssteuerpräferenz. Bisher erhielten die Westberliner beim Lohnsteuer-Jahresausgleich eine Ermäßigung von 30 Prozent. 1991 wird diese Präferenz auf 24 Prozent, 1992 auf 18, 1993 auf 12 und 1994 auf sechs Prozent verringert.

Bis zu 50.000 Arbeitsplätze kosten kann, so übereinstimmend die Industrie- und Handelskammer, die Gewerkschaften und die Parteien, der Abbau der Umsatzsteuerpräferenzen für die Industrie. 1990 betrug diese Förderung 2,85 Milliarden Mark.

Die Umsatzsteuerpräferenzen unterteilen sich in zwei Förderinstrumentarien. Am wichtigsten für die Berliner Industrie ist die Herstellerpräferenz. Je nach Wertschöpfung erhielten die Firmen zwischen zwei und zehn Prozent Subventionen, wenn sie in Berlin produzierte Waren ins Bundesgebiet lieferten. Die Abnehmer im Bundesgebiet profitierten von der Abnehmerpräferenz. Bis zu 4,2 Prozent des Rechnungsbetrages erhielten sie als Belohnung dafür, in Berlin produzierte Waren zu verkaufen. Die Herstellerpräferenz wird zum 1. Juli dieses Jahres auf 30 Prozent gekürzt, 1992 auf 50 Prozent, 1993 auf 75 Prozent und 1994 fällt sie ganz weg. Die Abnehmerpräferenzen wird es ab 1. Juli überhaupt nicht mehr geben.

Die Investitionsfreudigkeit der Westberliner Unternehmer wird durch den Abbau der Investitionszulagen (bisher 1,05 Milliarden) und der zinsgünstigen Kredite (bisher 1,0 Milliarden) vermutlich gebremst.

Gefährdet ist auch der Soziale Wohnungsbau. Die erhöhten Steuerabzugsmöglichkeiten für den Bau und die Modernisierung von Mehrfamilienhäusern und die Schaffung neuer Mietwohnungen entfallen für alle Maßnahmen mit Beginn (Bauantrag) ab 1. Juli 1991. Die Kostenmieten könnten dadurch rund sechs Prozent steigen, eine Summe, die der Senat dann zuschießen müßte.

Insgesamt betrug 1990 das Fördervolumen rund 9,2 Millarden Mark. Die Arbeitnehmer, so schätzte der DGB in einer Stellungnahme schon vor Wochen, wird die Wiedervereinigung monatlich rund 17 Prozent des Haushaltseinkommens kosten. Als Folge der sinkenden Kaufkraft, befürchtet der Deutsche Gewerkschaftsbund, werden weitere Arbeitsplätze gefährdet. Ihr Vorschlag; gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden und der Berliner Landesregierung einen Plan zum flexiblen und sozialverträglichen Abbau der Berlinförderung zu entwickeln und dies analog zum Aufbau eines Wirtschaftsförderungssystems wie in allen anderen neuen Bundesländern. aku