Ist Saddam ein zweiter Yamamoto?

■ Der Schriftsteller Makoto Oda über Japan damals und Irak heute INTERVIEW

Als Zwölfjähriger hat der japanische Schriftsteller Makoto Oda einen verheerenden Bombenangriff auf seine Heimatstadt Osaka erlebt. Später beschäftigte er sich literarisch immer wieder mit Situationen, in denen die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen. Seine 1984 geschriebene Erzählung „Hiroshima“, die als „The Bomb“ 1990 auch in den USA erschien, handelt von den unbeachtet gebliebenen Opfern der Atombombe: Den amerikanischen Kriegsgefangenen, die in Hiroshima interniert waren, den Hopi-Indianern, die wegen der Nukleartests aus ihren Reservaten vertrieben wurden, den nach Japan verschleppten koreanischen Zwangsarbeitern.

taz: Herr Oda, Sie waren Mitte der sechziger Jahre einer der Mitbegründer der wichtigsten Oragnisation der japanischen Anti-Vietnamkriegsbewegung „Beiheiren“. Wo sehen Sie die Parallelen zur jetzigen Situation?

Makoto Oda: Der Vietnamkrieg und der Golfkrieg sind zwei verschiedene Dinge, aber die Art und Weise, wie die Japaner verwickelt sind, ist die gleiche. Gegenüber den Amerikanern sind wir Opfer, denn sie benutzen ihre Stützpunkte in Japan, ohne uns zu fragen und sogar gegen die ausdrücklichen Bestimmungen des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages. Dort ist nämlich festgelegt, daß die amerikanischen Einrichtungen in Japan ausschließlich für Einsätze in Ostasien benutzt werden dürfen.

Andererseits sind wir Täter, denn von unserem Land geht Krieg aus, und wir finanzieren ihn sogar noch.

Wo sehen Sie in der gegenwärtigen Situation die Parallelen zwischen Japan und Deutschland?

Von 1985 bis 1987 habe ich in Berlin gewohnt. Mir fiel auf, daß Japan und Deutschland sehr viel gemeinsam haben. Zunächst natürlich die schlimme Vergangenheit. Beide Länder haben grausame Angriffskriege geführt, beide Länder standen im Kalten Krieg in vorderster Front. Jetzt sind sie beide Wirtschaftsgroßmächte, mit allen Problemen, die diese Rolle mit sich bringt: Umweltzerstörung, Kernkraft, das Verhältnis zur Dritten Welt.

Und jetzt werden Japaner und Deutsche aufgefordert, sich am Krieg zu beteiligen, ihn zu bezahlen. Da muß man sich gemeinsam Gedanken machen, was man dagegen unternehmen kann.

Halten Sie den Vergleich zwischen Saddam und Hitler für legitim?

Nein. Dieser Vergleich vernachlässigt einen entscheidenden Aspekt. Von Japan aus gesehen erinnert die Situation insgesamt viel mehr an die dreißiger Jahre im ostasiatischen Raum, der Irak an Japan und der Golfkrieg an den Pazifischen Krieg. Als Japan seine Modernisierung begann, zur Zeit der Meiji-Restauration 1868, waren die anderen asiatischen Länder Kolonien, versklavt von den Europäern. Das Ziel einer „Befreiung Asiens“, wie es in Japan formuliert wurde, war insofern eine gerechte Sache. Nur, um diese gerechte Sache durchzusetzen, mußte Japan Hegemonialmacht werden. Es mußte eine starke Wirtschaft schaffen, eine schlagkräftige Armee aufstellen, um schließlich ganz Asien beherrschen zu können. Da trafen sich Imperialismus nach europäischem Vorbild und die Parole „Fukoku Kyohei“ — „Ein reiches Land und eine starke Armee!“. Als man in den dreißiger Jahren Korea und einen großen Teil Chinas besetzt hatte, kam gerade Hitler an die Macht. Das Deutsche Reich und Japan, beide verbündeten sich und sprachen von einer „neuen Weltordung“, die man schaffen wollte, aber die dahinterstehenden Ideologien waren grundsätzlich verschieden: Im Fall Japans spielte das Motiv der Befreiung der kolonisierten Völker der Dritten Welt eine wichtige Rolle. Amerika und die europäischen Großmächte sprachen ebenfalls von einer „neuen Weltordnung“, einer Ordnung der Demokratie und der Freiheit. Die Kehrseite davon waren aber Kolonialismus, Hegemoniebestrebungen und Profitgier.

Die Parallelen zur gegenwärtigen Situation des Irak sind deutlich. Auch im Irak gibt es diese Vebindung von der „gerechten Sache“ des Antikolonialismus mit blankem Imperialismus. Wieder vermischen sich bei den westlichen Gegnern die Motive Völkerrecht und Freiheit mit Hegemonnialstreben und Profitgier. Die Rolle Saddams könnte man mit der des japanischen Generals Yamamoto, der den Angriff auf Pearl Harbor kommandierte, vergleichen. Yamamoto war bestimmt kein Idiot; er sah, wie die ABCD-Kolonialmächte — America, Britain, China, Dutch — zu ständig schärferen Embargomaßnahmen gegen das expandierende Japan griffen und allmählich den Lebensnerv der japanischen Wirtschaft, ironischerweise die Ölzufuhr aus Südasien, bedrohten. Da eine grundlegende Änderung der japanischen Politik unmöglich und darüberhinaus ja auch das „gerechte Motiv“ der Befreiung Asiens vom Kolonialismus hinfällig geworden war, trat er die Flucht nach vorn an. Er wählte den Krieg, obwohl er wußte, daß er ihn nicht gewinnen konnte. Aber auch durch das Embargo der Westmächte hätte Japan höchstens noch ein oder zwei Jahre durchhalten können.

Auch die Ähnlichkeiten der Kriegsführung sind frappierend: Die Japaner haben ebenfalls „menschliche Schutzschilde“ verwendet. Und genau wie heute führten die Amerikaner eine Bombenkrieg — der schließlich mit der Atombombe endete.

Die Situation drängt; während wir hier sprechen, sterben dort Menschen. Deshalb muß man zwei Dinge sorgfältig unterscheiden, nämlich die kurzfristigen Forderungen und die langfristigen Überlegungen.

Kurzfristig gibt es nur eine Forderung: den sofortigen Waffenstillstand. Man kann über Recht und Unrecht, über lautere und unlautere Motive aller Kriegführenden lange streiten. Aber zunächst muß doch das Morden sofort ein Ende haben.

Langfristig muß man sich ganz andere Dinge überlegen. Im Golfkonflikt wurde die UNO von den USA benutzt. Genaugenommen ist die UNO ja eine Organisation von Staaten, die alle eine Armee besitzen. Die japanische Verfassung ist die einzige auf der Welt, die eine Armee und das Recht auf Kriegführung untersagt. In Wirklichkeit haben wir zwar doch eine Armee, aber die Verfassung wäre nach meiner Meinung unsere langfristige Chance. Langfristig müßte Japan aus der UNO, eben einer Organisation von Ländern, die Armeen besitzen, austreten. Das heißt nicht, daß man gar nichts für die UNO tun sollte. Japan sollte alle seine Bemühungen auf die Unterorganisationen der UNO konzentrieren, die für die friedliche Völkerverständigung arbeiten, die UNICEF, die WHO usw.

Interview: Stefan Biedermann

Makoto Oda hält am kommenden Samstag in der Berliner Gedächtniskirche eine Rede im Rahmen einer Veranstaltung des Deutsch-Japanischen Friedensforums zum Golfkrieg