„Ramiz Alia wird die Opposition beteiligen müssen“

■ Nach dem Tiranaer Studentenführer Ilje Ikonomi wird sich die demokratische Opposition nicht mehr abspeisen lassen INTERVIEW

taz: Wie war die Stimmung am Mittwoch abend?

Ikonomi: Wir haben gefeiert, zum ersten Mal fühlten wir uns frei. Tausende sind auch am Donnerstag wieder auf die Straße gegangen, sie tanzten und sangen alte Volksweisen. In der Früh standen noch Panzer an den Ausfallstraßen und im Zentrum der Stadt. Seitdem die jedoch abgezogen sind, wissen wir, daß jede Gefahr vorbei ist.

Aber in der Provinz: Wie ist dort die Lage?

Wie wir gehört haben, werden auch dort die Hoxha-Denkmäler vom Sockel gestürzt.

Wie sieht jetzt die Zukunft Albaniens aus?

Ramiz Alia wird sich von den Dogmatikern trennen müssen. Er wird einen Präsidialrat, eine Art Übergangsregierung bis zu den freien Wahlen am 31. März bilden.

Unter Beteiligung der Opposition?

Das wurde zwar bisher nicht bestätigt, aber ihm wird gar nichts anderes übrigbleiben. Die Opposition hat schließlich die Dinge ins Rollen gebracht und wird sich jetzt nicht mit Versprechungen abspeisen lassen. Schon gar nicht die Studenten, die ja weit radikaler sind als die Demokratische Partei oder die Republikanische Partei.

Wird diese Übergangsregierung und später dann eine mögliche Mehrparteienregierung die ungelösten Probleme Albaniens in den Griff bekommen? Sind nicht auch die neuen demokratischen Führer kompromittiert?

Nun, da ist z.B Ismail Kadare, unser großer Schriftsteller. Jahrzehntelang war er zusammen mit der Hoxha-Witwe Vorsitzender des Bundes der Werktätigen — obwohl er nie Kommunist war, sie haben ihn gedrängt. Immer hat er kritik geübt, Hoxha und Alia öffentlich „Bürokraten“ geschimpft. Es gibt zweifellos ein Potential kritisch und demokratisch denkender Menschen, die die Geschicke unseres Landes auf moderne Weise in die Hand nehmen können und werden.

Aber wiegt nicht die Vergangenheit schwerer? Die Willkür der Geheimpolizei, die stalinistische Kontrolle aller Lebensbereiche. Was hat Enver Hoxha für die Albaner verkörpert?

Für unsere Eltern war Hoxha ein großer Staatsmann. Er hat ihnen ihre staatliche Einheit gegeben. Für unsere Generation überwiegen seine Fehler. Er hat uns isoliert, von der Welt und von dem Fortschritt. Er hing Ideen an, die seit langem überholt waren. Was die Wahlen betrifft, so kann es noch zu Überraschungen kommen. Die Landbevölkerung will ein Ende der Diktatur. Aber sie ist konservativ und traut der Opposition und den Studenten nicht zu, daß sie Albanien in einen modernen Staat verwandeln können. Es ist durchaus möglich, daß die KP in ländlichen Regionen gewinnt. In den Städten aber wird sie verlieren; dort sind die wirtschaftlichen und politischen Zentren. Dort auch wird über den zukünftigen Weg Albaniens entschieden, und dieser wird demokratisch sein. Interview: Roland Hofwiler