»Wir haben Härten gemildert«

■ Ein Ostberliner Arbeitsrichter zu seiner Vergangenheit und Zukunft/ Chancen zur Weiterarbeit am Arbeitsgericht stehen trotz Klageflut schlecht

Berlin. Auf dem Arbeitsgericht in der Lützowstraße ist aufgrund der Klageflut entlassener Arbeitnehmer der Notstand ausgebrochen. Um halbwegs Abhilfe zu schaffen, wurden zwar 20 neue Richterstellen bewilligt. Besetzt sind sie bislang jedoch nicht. Dabei gäbe es Anwärter genug. Allen voran 13 ehemalige Arbeitsrichter aus Ost-Berlin, die nach ihrer Überprüfung durch den Richterwahlausschuß lieber heute als morgen ihren alten Beruf wieder aufnehmen würden. Doch selbst wenn sie vom Richterwahlausschuß grünes Licht zur Weiterarbeit bekommen haben, wird keiner von ihnen eine Stelle beim Arbeitsgericht bekommen. Und das, obwohl einige der Ostrichter dort schon seit geraumer Zeit freiwillig hospitieren und von den Westrichtern mit offenen Armen empfangen würden. Der Grund: Alle aus dem Osten übernommenen Richter und Staatsanwälte müssen erst eine dreijährige Probezeit im Berliner Zivilgericht am Tegeler Weg ableisten.

Einer der ehemaligen Ostberliner Arbeitsrichter heißt Günter Werner, ist 45 Jahre alt und Vater zweier Kinder. Wie seine 13 anderen Kollegen hat er bei der hiesigen Justizverwaltung die Übernahme beantragt und befindet sich seit vergangenen Oktober bei Fortzahlung von 70 Prozent seines alten Bruttolohns im sogenannten Wartestand. Günter Werner macht aus seiner früheren SED-Mitgliedschaft keinen Hehl. Er erzählt über sich, daß er an der Humboldt- Universität in Ost-Berlin zum Rechtspflegejuristen ausgebildet wurde. Ab 1976 war Werner eigenen Angaben zufolge zunächst lange als Familienrichter tätig. Zwischendurch, so berichtet er, war er auch ein dreiviertel Jahr lang Strafrichter. Dieses Amt sei er deshalb so schnell wieder los gewesen, weil er den Parteisekretär eines Betriebes in einem Körperverletzungs-Prozeß der Falschaussage überführt und den Angeklagten daraufhin freigesprochen habe.

Von 1983 bis zum 30. September 1990 war Werner Arbeitsrichter, unter anderem am Friedrichshainer Stadtbezirksgericht. Er ist nicht nur im alten DDR-Arbeitsrecht bestens bewandert, sondern hat den westlichen Arbeitsrichtern auch die Erkenntnisse aus der Übergangszeit voraus, in der viele DDR-Bürger im Zuge der Joint-venture-Arrangements entlassen wurden. Früher, als die meisten Probleme noch in den betrieblichen Konfliktkommissionen geklärt wurden, hatten die Arbeitsrichter hauptsächlich über Einsprüche gegen Disziplinarmaßnahmen zu befinden. Als die Wende näherrückte, nahmen die Lohnstreitigkeiten zu und im Mai 1990 setzte die erste große Kündigungslawine ein. »Wir haben versucht, die Härten abzumildern, so gut es ging«, erzählt Werner. Deutlich in Erinnerung ist ihm aus dieser Zeit noch der Fall einer Maschinenarbeiterin, die entlassen wurde, obwohl sie ein kleines Kind hatte und mit dem zweiten im achten Monat schwanger ging. »Die Kündigung war natürlich unwirksam. Wenn so was früher passiert wäre, hätten wir deswegen mit der Gewerkschaftsvertretung ein wahres Feuerwerk in dem Betrieb entfesselt«, empört sich Werner. Er ist der Meinung, daß die Arbeitsrichter im Osten »fürsorglicher« als im Westen mit den Leuten umgegangen sind. Im Gegensatz zum Westen habe es im Osten auch zur Aufgabe der Arbeitsrichter gehört, neben den Prozessen einmal in der Woche eine Sprechstunde für Rechtsratsuchende abzuhalten. Das Verhältnis zwischen den Ost- und Westberliner Arbeitsrichtern, die von sich aus gleich nach der Wende Kontakt aufnahmen, beschreibt Werner als sehr gut. Beide Seiten hätten viel voneinander gelernt. »Wir von den Kursen und der Hospitation bei den Westkollegen und sie von unseren Erfahrungen, wenn es um Klagen von Ostberlinern ging«. Denn: »In Ost und West wird doch oft mit zweierlei Sprache gesprochen. Wir haben dann übersetzt, weil wir die Hintergründe und Lebensweise einfach kennen.«

Daß seine Vergangenheit überprüft wird und er eine dreijährige Probezeit ableisten muß, findet Günter Werner richtig. Was ihm jedoch nicht einleuchtet, ist, daß er sich in das Zivilrecht einarbeiten soll und dazu möglicherweise noch an einen Vorgesetzten gerät, »der vielleicht kein Herz für Ossis hat und einen in zwei Wochen fertigmacht«. Hinzu kommt die bittere Erkenntnis, am Ende der Probezeit 48 Jahre alt zu sein. »Ob ich dann wohl noch die Kraft habe, mich wieder ins Arbeitsrecht einzuarbeiten?« zweifelt Werner und fügt hinzu: »Daß ist mit den Rechtskenntnissen doch so, wie mit dem Blinddarm. Der verkümmert, wenn er weg ist.« Günter Werner erwägt deshalb ernsthaft, sich in Brandenburg zu bewerben: »Dort sind die Chancen und der Bedarf größer.« Plutonia Plarre